Die Bucht des grünen Mondes
Ambue’y. Verstehst du?»
«Nein.»
Am liebsten hätte sie geschimpft. Was sie als seine Stiefmutter sicherlich gedurft hätte, aber das würde er ja auch nicht begreifen. «Es gibt viele Wittstocks unter den Ambue’y», sagte sie hart. «Wenn du eine besonders große Anakonda tötest, denkst du dann auch, du hättest alle Anakondas ausgerottet?»
Er senkte den Kopf. Nun tat er ihr leid. Leise sprach er mit den anderen. Die Frau nahm die Rinde an sich und schleuderte sie ins Feuer.
Zwischen den Fäusten spannte die Indianerin ein aus Fasern gedrehtes Seil und schrie auf sie ein.
Diese Frau ist wie ein Hund, der ständig bellen muss
, dachte Amely ärgerlich und eingeschüchtert zugleich.
«Ich verstehe Sie nicht, begreifen Sie das doch endlich!», gab sie zurück. Es überraschte sie nicht, dass Schläge dem Gekeife folgten. Sie hob die Arme vor das Gesicht. Ihr war danach, einfach zurückzuschlagen. Vielleicht täte es ihr gut, wie vor einigen Tagen, als sie sich gegen Kilian gewehrt hatte. Aber diese Wilde sollte sehen, wie sich ein zivilisierter Mensch verhielt. So hielt sie still und wartete ab.
«To!», keifte die Frau. Nacheinander deutete sie auf Amelys Hände. Amely begriff, dass sie gefesselt werden sollte. Hastig machte sie zwei Schritte zurück und verbarg ihre Hände in den Achseln. Die beiden Männer lachten.
«Nein!», schrie Amely. Sie wollten sie gefesselt aussetzen – oder mit sich in den Urwald schleppen! «Ich bin Amely Wittstock; das könnt ihr nicht mit mir machen! Ich will nicht.
Ich will nicht!
»
Einen Herzschlag später brannte ihre Wange wie von einem Feuer überzogen. Diese Wilde hatte einen Schlag, der dem Kilians in nichts nachstand. Als sie die Hand zu einer zweiten Ohrfeige hochriss, fiel ihr Ruben in den Arm.
«Ani tei, Tiacca.» Er schob die Frau beiseite und packte mit beiden Händen Amelys Gesicht, wischte mit der Handkante darin herum und drehte es der Frau wie das einer Puppe zu. Die Wilde nickte, plötzlich friedlich. Trotzdem band sie Amelys Hände vor dem Bauch zusammen. Amely wagte nicht mehr, aufzubegehren. Als sie den Rest ihrer Schminke an Rubens Händen sah, wusste sie, was er der Indiofrau gezeigt hatte: die Spuren von Kilians Schlägen. Sein beschwichtigender Blick schien zu sagen, dass es in seiner Gewalt so schlimm für sie nicht kommen sollte.
Sie fand, es kam schlimm. Man brachte sie in das große Boot, wo sie vor Ruben Platz nahm. Vor ihr hockte sich die Frau hin. Die beiden anderen Männer lenkten die kleineren Boote in den Rio Negro. Da Ruben zu schwach war, drückte man ihr sein Paddel in die gefesselten Hände. Sie schaffte kaum mehr als drei, vier Stöße, dann glaubte sie schon, ihre Arme müssten brechen. Ebenso ihr Rücken, der es nicht gewohnt war, so lange ohne Korsett zu sein. Ruben gönnte ihr nur kurze Pausen; dann klopfte er auffordernd auf ihre Schulter. Die Indios hingegen schienen nie zu ermüden.
Tag um Tag ruderten sie den Fluss hinauf. Man konnte kaum glauben, dass nördlich von Manaus die Welt so gottverlassen war. Die Pfahlbausiedlungen der Caboclos wurden zusehends spärlicher; und von den Mestizen dort interessierte sich niemand für ein paar versprengte Indianer. Keiner kam Amely zu Hilfe, natürlich nicht. Ihre Stimmung schwankte zwischen Neugier und entsetzlicher Furcht. Sie hätte sich nicht weigern sollen, diese Botschaft zu schreiben. Dann hätte man in der
Casa no sol
wenigstens gewusst, was mit ihr geschehen war.
Ach, Unfug!
, schalt sie sich. Das dumme Baumrindenbrett wäre niemals an seinem Bestimmungsort angekommen – und wenn doch, sicher nicht mehr mit einer leserlichen Nachricht. Die Indios waren von grenzenloser Weltfremdheit.
Vorerst hatte sich Amely entschlossen, diese Leute nicht zu mögen. Sie waren ja kaum mehr als Tiere, wenn sie ihre Hüftschnüre beiseiteschoben und sich vor aller Augen ins Wasser erleichterten. Sie selbst verkniff es sich bis zum Abend, wenn man an einer geschützten Stelle festmachte und den Fang des Tages briet. Dann schlug sie sich, meist bewacht von der Frau, in die Büsche. An den abendlichen Feuern forderte Ruben sie zu reden auf, und er übte neugierig Wörter und Sätze. Dass er dabei ungewöhnlich schnell war, schien ihm nicht aufzufallen. Woher sollte ein Mensch aus dem tiefsten Urwald, der nie mit fremden Menschen in Kontakt trat, auch wissen, dass das Erlernen einer Sprache eigentlich eine langwierige und anstrengende Sache war?
Zusehends schwand die schwarze Farbe
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