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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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aus seinem Haar; immer mehr blonde Strähnen kamen zum Vorschein, und wenn sein helles Blond in der Sonne aufleuchtete, kam ihr das alles noch unwirklicher vor. «Falke Totem», sagte er, strich über seine tätowierten Arme und fasste sich ins Haar. «Che réra, mein Name – Aymáho kuarahy: Sonnenfalke.» Er deutete auf die Frau: «Tiacca: Vogel in Wasser», seine Hand ahmte den Sturzflug eines Eistauchers nach. Dann stellte er ihr den kleineren und kräftigeren der beiden Männer vor, der ständig frech grinste: «Pytumby: Abend an Fluss.» Zuletzt wies er auf den anderen, der als Einziger eine Knochennadel auch durch die Nase gestochen trug: «Ku’asa», doch für ihn wusste er offenbar keine deutsche Entsprechung. Ihre Gesichter wirkten alterslos, beinahe kindlich.
    «Amely?»
    «Amalie», sagte sie. «Die Tüchtige.»
    Er rollte das fremde Wort hin und her. «Tüchtig. Fleißig. Gut.»
    Seine Genesung machte schnelle Fortschritte – die Larvenasche musste ein wahres Wundermittel sein. So rasch wie die anderen sprang er im Boot auf, ohne dass es ins Schlingern geriet, riss einen Pfeil aus seinem Köcher, legte ihn an den Bogen, spannte ihn und schoss. Sie kam nicht umhin, diesen barbarischen Anblick zu genießen. Hätte man ihr damals, als sie auf der Exotenschau herumgetändelt war, von einem solchen Mann erzählt, niemals hätte sie es geglaubt.
    Die Reise indes zermürbte sie. Die Anstrengungen, die gebundenen Hände, der seiner Stütze beraubte Rücken, die von Stichen und Bissen juckende Haut, ihr zerschlissenes Nachthemd, das wie eine zweite Haut am Körper klebte, ihr eigener Geruch – all das hasste sie. Geriet das Wasser vor dem Bug in Aufruhr, weil ständig Baumstämme, Schlingpflanzen oder Sandbänke auftauchten, schlug ihr Herz vor Angst. Sogar der Regen bedeutete Gefahr; und wie die anderen schöpfte sie mit Händen und großen Blättern das Wasser aus dem Rumpf, bis sie vor Erschöpfung zusammensank. Tausende, Abertausende Vögel lärmten, dass man sein eigenes Wort nicht verstand. Die Krokodile an den Ufern waren nicht mehr nur ein aufregendes Naturschauspiel, das man mit dem Opernglas in der einen und einer kühlen Limonade in der anderen Hand vom Deck der
Amalie
aus mit wohligem Schaudern betrachtete. Alles bewegte sich, schier platzend vor unbekanntem, gefährlichem, lautem Leben; und wenn weißer Nebel in den Baumkronen hing und dampfend über dem Fluss aufstieg, so hätte es Amely nicht verwundert, wäre ein Flugsaurier daraus hervorgebrochen.
    All dies war jedoch nichts gegen die Ungewissheit. Was wartete am Ziel? Ihre Phantasie gaukelte ihr schlimme Dinge vor: dass man sie in ein Erdloch sperrte, mit Wurzeln fütterte und schließlich in Palmblättern garte wie ein Tier. Dass man sie unter den Männern herumreichte oder Sklavenarbeit unter den Frauen tun ließ, die sicher alle so ruppig wie Tiacca waren. Oder dass man sie an einen Baum band und mit Honig einrieb. In Büchern taten Indianer solche Dinge. Und selbst wenn nichts davon geschah – würde sie jemals wieder dem Urwald entkommen?
    Dann könnte ich vollenden, was mir an Silvester am Igarapé nicht gelang
, überlegte sie.
Den Revolver habe ich ja noch
.
    Doch das wäre nur der letzte Ausweg. Sie wollte leben. Nie, nie hatte sie so sehr leben wollen wie jetzt.
     
    Es war ihr ein Rätsel, wie sich die Indios orientierten. Die riesige Flusslandschaft Amazoniens war ständiger Veränderung unterworfen, und die Wasserläufe, denen sie folgten, waren ein einziges mäanderndes Gewirr. Der Fluss verwandelte sich in riesige Seen, dann wieder in schmale Bäche, in denen die Boote auf Stromschnellen scheinbar in die falsche Richtung hüpften. Manchmal fuhren sie über dichtgewebte Teppiche aus Laub hinweg, manchmal durch gelbe Brühe voller Mückenwolken. Lediglich einmal gewann Amely eine Ahnung, wo sie sich befand: Das schwarze Wasser wurde hell. Die kleine Flotte hatte den Rio Negro verlassen und war in den Weißen Fluss, den Rio Branco, eingebogen.
    Wie viele Tage vergangen waren, wusste Amely nicht. Blüten in Berlin schon die Schneeglöckchen? Pflegte Maria im Park der
Casa no sol
ein weiteres leeres Grab? Es hätte Amely nicht verwundert, wären nicht Wochen, sondern Jahre vergangen, und der kleine Miguel stellte inzwischen den jungen Dienstmägden nach.
    Sie folgten einem endlosen Weg in den Wald, wateten durch knietiefen Morast, die leichten Einbäume auf den Schultern – auch Amely musste schleppen. Überall in ihrer von

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