Die Bucht des grünen Mondes
stecken.»
Sie bereute es sofort – wahrscheinlich würde er ihr eines dieser lächerlich kurzen Röckchen in die Hand drücken und von ihr verlangen, mit entblößter Büste herumzulaufen.
Zurück in seiner Hütte, brachte er ihr ein kleines Gestell und ein dickes Fadenknäuel. «Du musst selbst machen», er klopfte auf seine mit den bunten Schnüren viel zu spärlich bedeckte Hüfte.
Himmel! Sie sank am Pfosten nieder und begann den Faden aus Pflanzenfasern um ein Rindenstück zu wickeln. Da hatte sie Kleider getragen, die schwer von Juwelen waren, und hier verlangte man allen Ernstes von ihr, dass sie sich einen Ersatz für ihr zerschlissenes Nachthemd webte!
Der Regen prasselte so laut auf das Dach, dass sich Amely fragte, ob die Hütte dem standhalten würde. Gleich nach seiner Rückkehr hatte Ruben begonnen, sie auszubessern. Ständig musste man das tun, oft die Hütten neu bauen, hatte er erklärt, weil alles rasch vermoderte. Durch das frisch mit Baumrinden und Palmblättern gedeckte Dach fanden nur wenige Tropfen ihren Weg. Zischend verdampften sie in einem Erdloch, in dem die Reste eines kleinen Feuers schwelten. Dass Amely nicht schlafen konnte, lag eher an dem lästigen Strick, der ihr Handgelenk mit dem Pfosten verband. Er ließe sich durchschneiden; sie bezweifelte jedoch, dass sie mit der freien Hand das im Lehmverputz steckende Messer ziehen konnte, ohne Ruben in seiner Hängematte zu wecken. So kauerte sie sich zusammen, den Geigenkasten an den Bauch gedrückt. Ob dieser aus dunklem Holz geschnitzte Götze dort Tupan war, der Hauptgott der Indios? Der kleine Kerl ähnelte einem Affen. An der Wand hingen Jaguarfelle und Reptilienhäute, Köcher und Bogen, Masken und aus Leder gefertigte Köpfe. Schneckenhäuser baumelten an Schnüren von der Decke. Ebenso getrocknete Schlangenhäute. Flecken roter Farbe bedeckten die Felle: die Farbe der Männer. Ruben hatte erklärt, dass sie für die Tüchtigkeit des Jägers, Reichtum und Potenz stand – und sich dabei anschaulich zwischen die Beine gegriffen.
Die grünen Flecken symbolisierten das Leben, die Seele, den häuslichen Schutz. Gelb war die Farbe der Frauen. Am Tage hatte Amely, während sie an ihrem Webrahmen arbeitete, zugesehen, wie die Indianerinnen die Farben aus Erde, Blüten und Blättern stampften. Das Gleiche hatten sie mit einer Frucht getan, aus der sie die blauschwarze Farbe für ihre Haare gewannen. Bis zu den Ellbogen waren ihre Arme dunkel gewesen, und sie hatten sich vor Lachen geschaukelt und gegenseitig bespritzt. Nicht nur ihre glatte Haut, ihre kurzen Nasen und die stämmigen Körper ließen sie wie Kinder wirken. Auch ihre Ungezügeltheit.
Rot und Grün flirrten nebeneinander und machten Amely unruhig. Ihr Magen knurrte. Das dargebotene Schildkrötenragout hatte sie dankend abgelehnt. Ihr wurde jetzt noch übel, wenn sie daran dachte, wie die fette Häuptlingsfrau in den blutverschmierten Panzer gelangt und sich die mit Maniokmehl und Maden vermischten Fleischklumpen von den Fingern geleckt hatte. Und als sie genüsslich Schildkröteneier verspeist hatte, die aussahen wie grünes Glas, war Amely hinter eine Hütte gerannt und hatte sich unter dem schallenden Gelächter sämtlicher Frauen übergeben.
Ob in den Kalebassen, Lederbeuteln und Tontöpfen etwas Essbares war? Amely reckte sich danach, in Erwartung, doch nur Käfer oder Würmer vorzufinden. Aber da waren nur Pfeilspitzen, unbekannte Säfte, eine Art Salbe aus gestampftem Kraut. Im Panzer eines Gürteltieres lag Rubens reichhaltiger Schmuck. Neugierig wollte sie hineingreifen – da flog das tierische Gefäß, von einem Fuß getreten, beiseite.
Ruben stand über ihr.
«Durfte ich das nicht?» Rasch kauerte sie sich wieder an den Pfosten.
Er bückte sich nach etwas Buntschillerndem, einem Wurm oder einer kleinen Schlange, und trug es – weit von sich gestreckt – hinaus. «Biss kann töten», erklärte er, als er durchnässt über den kniehohen Zaun aus Ästen und Lianen hereinstieg, der des Nachts als Schutz diente. «Das Regen hat hergelockt.»
Und das sagte er, als habe er soeben den täglichen Abfall entsorgt? Amely bedeckte das Gesicht.
Nicht darüber nachdenken
, ermahnte sie sich. Doch sie konnte nicht verhindern, zu zittern und in ihre Hände zu heulen. Seine Finger strichen durch ihr Haar. Er zog sie an sich und wiegte sie.
Der Regen rauschte nur noch, machte sie schläfrig. An Rubens Schulter schloss sie die Augen. Fast bedauerte sie es, als
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