Die Bucht des grünen Mondes
er sich zurückzog. Aus einem der Tongefäße schöpfte er vertraut Duftendes. «Guaraná!», rief sie erfreut.
Der süße Trunk aus gemahlenen Samen und Honig war wie eine kräftigende Mahlzeit. Und wie eine Erinnerung. «Das hat mir Maria auch oft serviert», sinnierte sie. «Ruben – warum hast du mich mitgenommen,
nachdem
ich dir klargemacht hatte, dass du deinen Vater …»
«Warum du immer sagst, er ist Vater?»
«Weil es so ist.»
«Du sprichst Geist-Worte.»
Amely seufzte. Alles konnte ein Geist sein. Ein Tier, eine Pflanze, ein Windstoß, ein Lied, der Rauch des Tabaks. Sogar von sich selber hatte Ruben behauptet, ein Geist gewesen zu sein. Es war schwer, einem Menschen die Wahrheit über seine Herkunft beizubringen, wenn derjenige ganz anders aufgewachsen war. Aber wie sollte man es jemandem erklären, der sich beim Anblick eines Regenbogens den Mund bedeckte, damit der Regenbogengeist seine Zähne nicht schädigte?
Vielleicht dachte Ruben aber auch nur das Gleiche wie sie über ihn und hielt sie für verschroben.
«Nun gut. Warum hast du mich mitgenommen, nachdem du wusstest, dass du Kilian Wittstock nicht erpressen kannst?»
Diese Frage stellte sie nicht zum ersten Mal. Aber zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er fähig und willens war, ihr zu antworten.
Er hockte sich im Schneidersitz vor sie. «Ich wollte Wittstocks …», er griff sich an den Kopf, «Schädel.»
Prustend verschluckte sie sich. «Seinen
Schädel
?»
«Beute. Beweis, dass ich habe ihn getötet. Dann kamst du. Ich wollte entführen dich. Du hast gesagt, ist sinnlos. Aber zu spät, dich zurücklassen. Du allein in die Bucht? Konnte ich nicht. Ich wollte nicht, dass dich … dir … etwas passiert.»
Er nahm den Holzbecher aus ihrer Hand, trank und gab ihn zurück. Nachdenklich kaute er an dem Schluck. «Nein, ist nicht ganz wahr. Du hast mir gemacht Angst. Ich weiß nicht, warum. Aber wenn so ist – Jäger muss Angst töten. Kazike sagt, ich spiele mit Tod, das ist schlecht. Ich sage, es ist gut. Wenn Gefahr aus dem Weg gehen, wird stärker. Man muss Schlange packen, tragen weg. Sonst immer sitzen in kyha und schauen in Schatten.» Er deutete zur Hängematte.
«Erzähl mir von deinen Eltern. Leben sie noch?»
«Nein. Vater guter Jäger. Tot von Jaguar. Mutter tot von Schlange, vor zwei Jahren.»
«Hatten sie auch blondes Haar?»
«Blond?»
«Golden, sonnig. Hast du dich nie gefragt, warum du als Einziger solches Haar hast?»
«Doch, früher.» Er winkte ab. «Aber Panther ist schwarz, Tier-Eltern nicht. Das ist so.»
Gleich nach seiner Ankunft hatte er seine ellenlange Mähne, die während der Reise in Wittstock’scher Pracht erstrahlt war, mit der Jenipapo-Frucht und dem Saft einer Lianenart blauschwarz gefärbt. Ganz so selbstverständlich fand er sein Blond also nicht.
«Ruben.» Tief atmete sie mehrmals durch. «Ich bin sicher, deine Eltern waren wunderbare Menschen. Aber sie waren nicht deine Eltern. Du bist ein Preuße.
Deutsches Reich
: Das ist ein mächtiges Land jenseits des großen Meeres. Für dein Volk sind diese Länder dort nur Legenden, aber ich komme ja auch daher, das ist alles ganz und gar wirklich. Irgendwie bist du als Kind in den Urwald geraten und von Indios aufgegriffen worden. Kannst du dich daran nicht erinnern? Was ist damals passiert?»
Sie ging es ganz falsch an; sie sah es an seinem fassungslosen, feindseligen Blick. Er hatte wieder den Becher an sich genommen, um zu trinken, und sie ahnte schon, dass der Trank gleich durch die Gegend spritzen würde. Doch er gab den Becher ruhig zurück.
«Du redest wirr. Mich nennt man manchmal verrückt. Aber du bist es noch mehr. Vielleicht hätte ich dich doch im Wald lassen sollen.»
Er stand auf und legte sich in seine Hängematte.
«Ruben! Merkst du nicht, dass du eben von einem Augenblick auf den anderen besser gesprochen hast? Das muss dir doch zu denken geben!»
Er verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. So legte auch sie sich wieder auf ihre Matte und griff nach ihrem Geigenkasten.
Ach, Ruben! Wie kann ich dir begreiflich machen, dass der, dessen Schädel du wolltest, dein Vater ist?
3. Kapitel
Amely betrachtete das armselige Stückchen Stoff auf ihrem Webrahmen. Heute sei das
Fest des Uirapuru
, hatte Ruben ihr am Morgen gesagt. Einige Mädchen feierten ihr Erwachsenwerden – der Uirapuru war ein Vogel, ein Liebesbote. Amely durfte zugegen sein, so die gönnerhafte Entscheidung des Häuptlings. Sie
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