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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Templern sprechen zu können, bin ich in den Foret d’Orient in der Nähe von Troyes gefahren, wo es Reste von ihrer Ordensburg gibt (auf die dann im Roman nur mit ein paar kurzen Worten angespielt wird). Um Casaubons nächtlichen Gang durch Paris zu beschreiben, vom Conservatoire zur Place des Vosges und dann bis zum Eiffelturm, bin ich mehrere Male nachts zwischen zwei und drei Uhr mit einem Taschenrecorder durch die Straßen gelaufen und habe alles auf Band gesprochen, was ich sah, um nicht die Straßennamen und die Kreuzungen zu verwechseln. Für die Insel des vorigen Tages bin ich natürlich in die Südsee gereist, genau zu der geographischen Position, von der ich erzähle, um die Farben des Meeres, des Himmels, der Fische und der Korallen an den verschiedenen Tageszeiten zu sehen. Aber ich habe auch zwei bis drei Jahre über Zeichnungen und Modellen von Schiffen der Epoche gearbeitet, um zu wissen, wie groß eine Kabine oder ein Verschlag im Unterdeck sein konnte und wie man von der einen zum anderen gelangte.
    Als mich kürzlich ein ausländischer Verleger fragte, ob es nicht sinnvoll wäre, dem Roman einen Aufriß des Schiffes beizugeben, ähnlich dem Plan der Abtei auf dem Vorsatzblatt von Der Name der Rose, drohte ich ihm mit meinem Anwalt. Im Namen der Rose wollte ich, daß der Leser genau begriff, wie die Umgebung beschaffen war, in der Insel des vorigen Tages wollte ich, daß der Leser sich verirrte und sich nicht mehr zurechtfand in dem kleinen Labyrinth jenes Schiffes, das immer neue Überraschungen bereithielt. Doch um von einem dunklen, Ungewissen, zwischen Traum und Wachen und Alkoholrausch erlebten Raum erzählen zu können und dem Leser den Kopf zu verwirren, mußte ich den Kopf vollkommen klar haben und mich beim Schreiben immer auf einen millimetergenau berechneten Bauplan des Schiffes beziehen.
Von der Welt zum Stil
    Ist die Welt einmal entworfen, ergeben sich die Worte von selbst und sind (wenn alles gutgeht) genau die richtigen für diese Welt und das, was in ihr geschieht. Deshalb folgt der Stil im Namen der Rose dem der mittelalterlichen Chronisten, die - immer gleichbleibend - präzise, getreu, naiv und staunend erzählten, gelegentlich auch platt (ein Mönchlein im 14. Jahrhundert schreibt nicht wie Gadda und erinnert sich nicht wie Proust); dagegen mußte im Foucaultschen Pendel eine Vielzahl von Sprachen ins Spiel kommen - die gebildet-archaisierende von Aglie, die pseudodannunzianische von Ardenti, die desillusioniert und ironisch (gewollt und erlitten) literarische von Belbo in seinen geheimen files, die kaufmännische und aufgeblasene von Garamond, dazu die ständig witzelnden Dialoge der drei Lektoren bei ihren unverantwortlichen Phantasien, in denen sich gelehrte Bezugnahmen mit Wortspielen auch dubiosen Geschmacks vermischen. Aber was Maria Corti einmal als »sprunghafte Registerwechsel« definiert hat 5 (und ich bin ihr für den Hinweis dankbar), war nicht die Folge einer einfachen Stilwahl, sondern vorgegeben durch die je besondere Art der Welt, in der das Geschehen spielte.
    Bei der Insel des vorigen Tages war dann die Art der Ausgangswelt nicht nur bestimmend für den Stil, sondern sogar für die Struktur des Gesprächs und Dauerkonflikts zwischen Erzähler und Hauptfigur mit daraus folgender Einbeziehung des Lesers, der immer wieder als Zeuge und Mitwisser jenes Konflikts angerufen wird. Bedenken wir, im Foucaultschen Pendel spielte das Geschehen in unseren Tagen, so daß sich das Problem der Wiederverwendung einer vergangenen Sprachform nicht stellte. Im Namen der Rose spielte es in einer viele Jahrhunderte zurückliegenden Zeit, in der eine andere Sprache gesprochen wurde, jenes Kirchenlatein, das so oft (nach Ansicht mancher zu oft) eingestreut wird, um den Leser daran zu erinnern, daß sich die Geschichte in einer fernen Zeit abspielt. Darum war das stilistische Vorbild zwar mittelbar das der damaligen Chronisten, aber unmittelbar das der modernen Übersetzungen, in denen wir sie gewöhnlich lesen (zudem hatte ich meine Vorkehrungen getroffen und eigens darauf hingewiesen, daß ich eine neugotisch-französische Übersetzung einer mittelalterlichen Chronik bearbeitete). In der Insel dagegen konnte meine Hauptfigur nicht anders als barock reden, aber ich konnte nicht im Barockstil schreiben, da ich sonst riskierte, die Parodie jener alten Handschrift zu fabrizieren, die Manzoni am Anfang der Promessi Sposi als ungenießbar verwirft. Daher brauchte ich einen Erzähler, der

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