Die Buecher und das Paradies
Übersetzung dieses Gedichts erzwinge der Wechsel des Ausdrucks den Verzicht auf viele lautsymbolische Werte (Silvia/salivi), auf den Reim und die Metrik. Denn sie wäre keine adäquate Übersetzung, wenn sie nicht sowohl die Fabel als auch den Plot respektiert. Sie wäre die Übersetzung eines anderen Gedichts.
Das scheint eine banale Bemerkung zu sein, aber sie zeigt, daß sogar in einem poetischen Text der Autor von einer Welt spricht (es gibt zwei Häuser, eins gegenüber dem anderen, und es gibt ein Mädchen all’opre femminili intenta, »mit weiblichen Arbeiten beschäftigt«). Um so mehr gilt das für die erzählende Prosa. Manzoni schreibt ziemlich gut (heißt es gewöhnlich), aber was wäre sein Roman, wenn darin nicht die Lombardei des 17. Jahrhunderts, der Corner See, zwei Verliebte von niederem
Stand, ein arroganter Kleinadliger und ein feiger Pfarrer vorkämen? Was würde aus den Promessi Sposi, wenn die Geschichte in Neapel spielte, zu der Zeit, als dort Eleonora Pimental Fonseca hingerichtet wurde? Denken wir nur.
Deswegen habe ich, als ich den Namen der Rose schrieb, ein reichliches Jahr, wenn ich mich recht erinnere, mit Vorbereitungen verbracht, ohne eine einzige Zeile zu schreiben (und beim Foucaultschen Pendel waren es mindestens zwei Jahre, ebenso bei der Insel des vorigen Tages). Ich las, machte Zeichnungen und Diagramme, erfand eine Welt. Diese Welt mußte so präzise wie irgend möglich sein, damit ich mich mit vollkommener Vertrautheit in ihr bewegen konnte. Für den Namen der Rose habe ich Hunderte von Labyrinthen und Abteiplänen gezeichnet, ausgehend von anderen Zeichnungen und von Orten, die ich besuchte, denn es war für mich eine Grundbedingung, daß alles funktionierte, ich mußte wissen, wie lange zwei Personen brauchten, um während eines Gesprächs von einem Ort zu einem anderen zu gehen. Das bestimmte dann auch die Länge der Dialoge.
Wenn ich in einem Roman schreiben müßte: »Als der Zug im Bahnhof von Modena hielt, stieg er rasch aus und kaufte sich eine Zeitung«, könnte ich es nicht, wenn ich nicht in Modena gewesen wäre und mich vergewissert hätte, ob der Zug dort lange genug hält und wie weit es von den Gleisen bis zum Zeitungskiosk ist (und das gilt auch, wenn der Zug in Innisfree halten müßte). Dies alles würde nur sehr wenig mit dem Verlauf meiner Geschichte zu tun haben (stelle ich mir vor), aber wenn ich es nicht täte, könnte ich nicht erzählen.
Im Foucaultschen Pendel lasse ich die beiden Verlage Manuzio und Garamond in zwei verschiedenen, aber an der Rückseite aneinanderstoßenden Gebäuden residieren, zwischen denen es einen Durchgang mit einer Mattglastür und drei Stufen gibt. Ich habe lange berechnet, wie dieser Durchgang zwischen zwei Gebäuden in der Mailänder Innenstadt beschaffen sein könnte und ob es da einen Niveauunterschied zu bedenken gab, wozu ich mehrere Pläne gezeichnet habe. Der Leser steigt jene drei Stufen hinauf, ohne sie zu beachten (glaube ich), aber für mich waren sie fundamental.
Manchmal habe ich mich gefragt, ob es wirklich nötig war, meine Welt so detailliert zu entwerfen, wenn diese Einzelheiten dann später in der Erzählung gar nicht hervortraten. Aber ich brauchte sie wohl, um mich mit dem Ambiente vertraut zu machen. Im übrigen hat mir einmal jemand erzählt, daß Luchino Visconti, wenn in einem seiner Filme zwei Personen von einer Schatulle voller Juwelen sprechen sollten, darauf bestand, daß sich echte Juwelen in der Schatulle befanden, auch wenn sie gar nicht geöffnet wurde, da sonst die Personen nicht glaubwürdig gewesen wären - das heißt, die Schauspieler mit weniger Überzeugung gespielt hätten.
So hatte ich für den Namen der Rose alle Mönche der Abtei gezeichnet. Ich hatte sie fast alle mit Bart gezeichnet, obwohl ich keineswegs sicher war, daß die Benediktiner zu jener Zeit Bärte trugen (die Frage wurde dann bei den Dreharbeiten für den Film zu einem philologischen Problem, das Jean-Jacques Annaud mit Hilfe mehrerer wissenschaftlicher Berater lösen mußte). Man beachte, daß im Roman nirgendwo gesagt wird, ob es jene Bärte gibt oder nicht. Aber ich brauchte sie, um mir meine Personen vorstellen zu können, während ich sie reden und handeln ließ, sonst hätte ich nicht gewußt, was sie sagen sollten.
Für das Foucaultsche Pendel habe ich viele Abende bis zur Schließung im Pariser Conservatoire des Arts et Metiers verbracht, wo einige der wichtigsten Szenen des
Romans spielen. Um von den
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