Die Buecher und das Paradies
Tatsache, daß ich nur ein symbolisches Honorar bekommen hatte -, daß mein Name nirgendwo erwähnt wurde. Aber es gab in jenem Drehbuch eine Szene, die in einer Höhle spielte, in deren Mitte ein Pendel hing, an das sich dann jemand klammerte, um durchs Dunkel zu schwingen.
Das zweite Bild, das sich mir aufdrängte, war das von mir selbst als dreizehnjährigem Bub, der bei einem Begräbnis von Partisanen die Trompete spielte. Eine wahre Geschichte, die ich übrigens immer wieder erzählt hatte. Nicht oft, aber stets in Situationen von großer Zärtlichkeit: spätabends bei einem letzten Whisky im Dunkel einer einladenden Bar, oder bei einem Spaziergang am Ufer eines stillen Gewässers, wenn ich spürte, daß eine Frau vor mir oder an meiner Seite nichts anderes erwartete, als eine schöne Erzählung zu hören, um dann zu sagen »wie schön« und meine Hand zu nehmen. Eine wahre Geschichte, mit der sich verschiedene Erinnerungen verbanden und die ich als schön empfand.
Das war’s: das Pendel und jene Szene auf einem Friedhof an einem sonnigen Morgen. Ich spürte, daß ich von diesen beiden Dingen würde erzählen können. Das Problem war nur: Wie kommt man vom Pendel zur Trompete? Die Antwort hat mich acht Jahre gekostet, und sie ist der Roman.
Auch bei der Insel des vorigen Tages bin ich von zwei sehr kräftigen Bildern ausgegangen, die mir fast sofort vor Augen standen, als ich mich fragte: Was könnte ich erzählen, wenn ich einen dritten Roman schreiben müßte? Ich habe zuviel von Klöstern und Museen erzählt, sagte ich mir, also von Stätten der Kultur: Ich sollte es einmal mit der Natur versuchen. Einfach Natur und sonst gar nichts. Und wo würde ich gezwungen sein, nichts als
Natur zu sehen? Bei einem Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel.
Zur selben Zeit, aber aus ganz anderen Gründen, hatte ich mir eine jener Uhren mit »Weltzeit« gekauft, auf denen sich ein mittlerer Kranz gegen den Uhrzeigersinn dreht, um die Ortszeit mit einer Reihe von Ortsnamen auf einem größeren Kranz zu korrelieren. Diese Art Uhren haben auch ein Zeichen, das die Datumslinie anzeigt. Daß es diese Linie gibt, wissen wir alle, sei’s auch nur aus der Lektüre von In achtzig Tagen um die Welt, aber wir denken nicht jeden Tag daran. Für mich war es wie eine Offenbarung: Mein Schiffbrüchiger mußte sich westlich dieser Linie befinden und eine Insel im Osten sehen, die nicht nur räumlich entfernt war, sondern auch zeitlich. Von da bis zu der Entscheidung, ihn nicht auf diese Insel, sondern vor sie zu versetzen, war es nur ein kleiner Schritt.
Doch zunächst gab nur meine Uhr an dem schicksalsträchtigen Punkt die Aleuten-Inseln an, und ich sah keinen rechten Grund, jemanden dorthin zu versetzen, um ihn etwas tun zu lassen. Wohin? Sollte er auf einer Ölplattform zurückgeblieben sein? Außerdem muß ich, wie ich gleich noch genauer ausführen werde, wenn ich von einem Ort erzählen will, dort gewesen sein, und die Vorstellung, mich in eine so kalte Gegend zu begeben, um nach einer Ölplattform zu suchen, war alles andere als berückend.
Aber dann entdeckte ich beim Weiterblättern im Atlas, daß die Datumslinie auch durch den Archipel der FidschiInseln verläuft. Fidschi, Samoa, Salomon-Inseln ... Diese Namen weckten andere Erinnerungen, führten zu anderen Fährten. Ein paar Lektüren, und schon war ich mitten im 17. Jahrhundert, der Zeit, in der die Entdeckungsreisen in den Pazifik sich zu häufen begannen. Ich erinnerte mich an meine vielen Ausflüge in die Kultur der Barockzeit, die ich früher unternommen hatte, und so kam ich schließlich auf die Idee, den Schiffbrüchigen auf ein verlassenes Schiff zu versetzen, eine Art Geisterschiff ... Und so weiter. Von diesem Punkt an konnte der Roman schon fast von allein seinen Weg gehen.
Zunächst eine Welt erbauen
Aber wo geht ein Roman seinen Weg? Dies ist das zweite Problem, das ich als grundlegend für eine Poetik der Erzählkunst ansehe. Wenn ich in einem Interview gefragt werde: »Wie haben Sie Ihren Roman geschrieben?«, antworte ich gewöhnlich kurz und bündig: »Von links nach rechts.« Aber hier habe ich genügend Platz für eine ausführlichere Antwort.
Ich bin überzeugt (oder jedenfalls ist mir nach vier Erfahrungen als Erzähler klarer geworden), daß ein Roman nicht nur eine Angelegenheit der Sprache ist. Ein Roman (wie jede Erzählung, die wir jeden Tag produzieren, wenn wir berichten, warum wir am Morgen zu spät gekommen sind oder wie wir uns eines
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