Die Buecher und das Paradies
errötet nach seinem Tod. Was für ein beispielhaftes Feingefühl bei einem Opfer!
Schont die Sockel, wenn ihr die Denkmäler stürzt. Sie könnten noch gebraucht werden.
Er hat die Wissenschaft besessen, aber nicht geschwängert.
Scheiterhaufen erleuchten die Finsternis nicht.
Man kann auf St. Helena sterben, ohne Napoleon gewesen zu sein.
Sie standen sich so nah, daß es zwischen ihnen keinen Platz mehr für Gefühle gab.
Er streute Asche auf sein Haupt - die seiner Opfer.
Ich habe von Freud geträumt. Was bedeutet das?
Umgang mit Zwergen krümmt das Rückgrat.
Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.
Sogar in seinem Schweigen gab es Sprachfehler.
Ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für Lee, aber bisher konnte ich nur einen einzigen Aphorismus bei ihm finden, der sich umkehren läßt:
Überlege, bevor du denkst.
Denke, bevor du überlegst.
Kommen wir nun zu Oscar Wilde. Angesichts der unzähligen Aphorismen, die er in seine Werke eingestreut hat, müßten wir zugeben, daß wir es mit einem dandyhaft seichten, auf oberflächliche Reize erpichten Autor zu tun haben, der, solange er nur den braven Bürger erschreckt, nicht zwischen Aphorismus, kanzerisierbarem Aphorismus und Paradox unterscheidet. Ja, er traut sich sogar, uns Behauptungen als scharfsinnige Aphorismen vorzusetzen, die sich unter der witzigen Oberfläche als triviale Gemeinplätze entpuppen - jedenfalls als Gemeinplätze für die viktorianische Oberschicht.
Auch hier jedoch läßt uns ein Experiment dieser Art erkennen, ob und inwieweit ein Autor, der die aphoristische Provokation zum Salz seiner Romane, Komödien und Essays gemacht hat, tatsächlich ein Schöpfer fulminanter Paradoxe war oder bloß ein begabter Bonmot-Sammler. Natürlich ist mein Experiment nur eine erste Geländeerkundung und zielt darauf ab, zu einer Magister- oder, warum nicht, Doktorarbeit zu ermuntern, die das ganze Feld systematisch erforscht.
Ich werde zunächst eine Reihe echter Paradoxe auflisten, die sich, wie mir scheint, nicht kanzerisieren lassen (oder höchstens mit dem Ergebnis einer sinnlosen oder eindeutig falschen Behauptung):
Das Leben ist einfach ein mauvais quart d’heure aus erlesenen Augenblicken.
Egoismus besteht nicht darin, zu leben, wie es uns paßt, sondern zu verlangen, daß die anderen leben, wie es uns paßt.
Es ist viel klüger, von allen schlecht zu denken - bis man entdeckt, daß jemand gut ist, aber das erfordert heutzutage eine Unzahl von Untersuchungen.
[man beachte: hier ist zwar eine Umkehrung möglich - Es ist viel klüger, von allen gut zu denken, bis man entdeckt, daß jemand schlecht ist, aber das erfordert heutzutage eine Unzahl von Untersuchungen -, aber das Ergebnis ist offenkundig falsch.]
Die Häßlichen und Dummen haben es am besten in dieser Welt: Sie können ruhig dasitzen und das Schauspiel begaffen. Wenn sie auch nichts vom Sieg wissen, bleibt ihnen wenigstens die Erfahrung der Niederlage erspart. Ein feinfühliger Mensch ist einer, der, wenn er Schwielen hat, stets auf die Füße der anderen tritt.
All jene, die unfähig zum Lernen sind, haben sich aufs Lehren verlegt. Jedesmal, wenn die Leute mit mir einer Meinung sind, habe ich das Gefühl, im Unrecht zu sein.
Ein Mann, über den viel geredet wird, ist eo ipso attraktiv. Irgend etwas muß schließlich an ihm dran sein.
Jeder große Mann hat heutzutage seine Jünger, und es ist immer Judas, der seine Biographie schreibt.
Ich kann allem widerstehen, nur nicht der Versuchung. Falschheit ist die Wahrheit der anderen.
Die einzige Pflicht, die wir der Geschichte gegenüber haben, ist, sie neu zu schreiben.
Eine Sache ist nicht notwendigerweise wahr, weil jemand für sie gestorben ist.
Die Verwandten sind ein Haufen langweiliger Leute, die nicht den geringsten Sinn dafür haben, wie man lebt, und nicht die blasseste Ahnung, wann man stirbt.
Aber es gibt auch unzählige Aphorismen von Wilde, die sich leicht kanzerisieren lassen (die Kanzerisierungen sind selbstredend von mir):
Leben ist das Seltenste auf der Welt. Die meisten Leute existieren bloß und sonst nichts.
Existieren ist das Seltenste auf der Welt. Die meisten Leute leben bloß und sonst nichts.
Wer einen Unterschied zwischen Seele und Körper findet, hat weder die eine noch den anderen.
Wer keinen Unterschied zwischen Seele und Körper findet, hat weder die eine noch den anderen.
Leben ist zu wichtig, um ernst darüber zu sprechen.
Leben ist zu unwichtig, um darüber zu scherzen.
Es
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