Die Buecher und das Paradies
oberflächlich erscheint und der Korrektur bedarf.
Nehmen wir folgende Maxime von Chamfort: »Der Sparsame ist der reichste aller Menschen, der Geizige der ärmste« (Maximes et pensées, I, 145). Hier entspringt der Witz aus der Tatsache, daß die gängige Meinung dazu neigt, den Sparsamen als einen zu betrachten, der seine wenigen Ressourcen nicht verschwendet, also auch seine eigenen Bedürfnisse nur sparsam befriedigt, während der Geizige als einer gilt, der mehr Ressourcen anhäuft, als er braucht. Die Maxime scheint also der gängigen Meinung zu widersprechen und dabei lediglich hinzunehmen, daß »reich« in bezug auf die Ressourcen verstanden wird und »arm« außer im moralischen Sinne auch in bezug auf die Bedürfnisbefriedigung. Ist dieses rhetorische Spiel einmal durchschaut, widerspricht die Maxime der gängigen Meinung nicht mehr, sondern bekräftigt sie eher.
Widerspricht jedoch ein Aphorismus der gängigen Meinung so heftig, daß er auf den ersten Blick falsch und inakzeptabel erscheint und erst nach wohlüberlegter Reduzierung seiner hyperbolischen Form als Träger einer gerade noch akzeptablen Wahrheit erkennbar wird, so haben wir es mit einem Paradox zu tun.
Etymologisch ist paradoxon etwas, das sich para ten doxan, gegen die herrschende Meinung stellt. Daher bezeichnet das Wort ursprünglich eine seltsame, bizzare, unerwartete Behauptung, weitab von den Überzeugungen der Mehrheit, und in diesem Sinne finden wir es noch bei Isidor von Sevilla. Daß aber gerade diese seltsame Behauptung zu einem Träger von Wahrheit werden kann, ist ein Gedanke, der sich nur langsam durchsetzt. Bei Shakespeare ist ein Paradox noch etwas, das in einer bestimmten Zeit falsch ist, aber allmählich wahr werden kann, siehe Hamlet, III, 1, 106 ff.:
Ophelia: Was meint Eure Hoheit?
Hamlet: Daß, wenn Ihr tugendhaft und schön seid, Eure Tugend keinen Verkehr mit Eurer Schönheit pflegen sollte.
Ophelia: Könnte Schönheit wohl bessern Umgang haben als mit der Tugend?
Hamlet: Ja freilich, denn die Macht der Schönheit wird eher die Tugend in eine Kupplerin verwandeln, als die Kraft der Tugend die Schönheit sich ähnlich machen kann. Dies war einst ein Paradox, aber nun stellt die Zeit es unter Beweis.
Einen besonderen Platz haben die Paradoxa der Logik: Sie sind in sich widersprüchliche Behauptungen, bei denen man weder beweisen kann, daß sie wahr, noch daß sie falsch sind, wie beim Paradox des kretischen Lügners. Aber nach und nach setzt sich auch der para-rhetorische Sinn durch, und hier halte ich mich an die Definition im Battaglia: 1
These, Auffassung, Behauptung, Sentenz, geistreiche Bemerkung, meist innerhalb eines ethischen oder theoretischen Diskurses, im Widerspruch zur verbreiteten oder allgemein anerkannten Meinung, zum gesunden Menschenverstand und zur allgemeinen Erfahrung, zum System der Glaubensvorstellungen, auf die man sich bezieht, oder zu den Prinzipien und Kenntnissen, die als anerkannt gelten (oft hat das P. auch keinerlei Wahrheitswert und ist bloß ein Sophismus, geprägt aus Liebe zur Exzentrizität oder um dialektische Fähigkeiten zu bezeugen; aber es kann auch unter einer scheinbar unlogischen und verwirrenden Form einen objektiv gültigen Kern enthalten, der dazu bestimmt ist, sich gegen die Ignoranz und Leichtfertigkeit der unkritisch die Meinung der Mehrheit Befolgenden zu behaupten).
Demnach wäre der Aphorismus eine Maxime, die als wahr anerkannt werden will, obwohl sie vor allem geistreich erscheinen möchte, während das Paradox als eine Maxime auftritt, die auf den ersten Blick falsch ist und erst nach einiger Überlegung erkennen läßt, daß sie ausdrücken soll, was der Autor für wahr hält. Aufgrund der Kluft zwischen den Erwartungen der gängigen Meinung und der provokatorischen Form, in der die Maxime auftritt, wirkt sie dann geistreich.
Die Literaturgeschichte ist reich an Aphorismen und etwas weniger reich an Paradoxen. Aphorismen zu prägen ist relativ leicht (und zu den Aphorismen gehören auch
Sprichwörter wie »La mamma e sempre la mamma« oder »Ein Hund, der bellt, beißt nicht«), Paradoxe dagegen sind eher schwierig.
Vor Jahren habe ich mich einmal mit einem Meister des Aphorismus wie Pitigrilli beschäftigt 2 , hier einige seiner brillantesten Maximen. Manche davon wollen, wenn auch mit Witz, eine Wahrheit bekräftigen, die sich keineswegs gegen die gängige Meinung stellt:
Gastronom: ein Koch, der das Gymnasium besucht hat.
Grammatik: ein
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