Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
ist eine Krankheit der Neigung zum Witz oder Aperçu, mit anderen Worten, eine Maxime, die sich, solange sie nur geistreich erscheint, nicht darum schert, daß ihr Gegenteil ebenso wahr ist. Das Paradox ist eine reale Umkehrung des Gewohnten, die eine inakzeptable Welt präsentiert, weshalb es erst einmal Widerstand und Ablehnung hervorruft, dann aber, wenn man es genauer bedenkt, Erkenntnis produziert; am Ende erscheint es geistreich, weil man zugeben muß, daß es wahr ist. Der kanzerisier-bare Aphorismus ist demgegenüber lediglich Träger einer partiellen Wahrheit, und oft enthüllt er, sobald er kanzerisiert worden ist, daß keine der beiden behaupteten Ansichten wahr ist. Es schien nur so, weil er witzig formuliert war.
    Das Paradox ist jedoch keine Abart des klassischen Topos der »verkehrten Welt«. Dieser ist bloß mechanisch, er führt eine Welt vor, in der Tiere sprechen und Menschen brüllen, Fische fliegen und Vögel schwimmen, Affen die Messe lesen und Bischöfe auf den Bäumen herumspringen. Er operiert mit einer Aneinanderreihung von adynata oder impossibilia ohne Logik. Er ist ein Karnevalsjux.
    Um Paradox zu werden, muß die Umkehrung einer Logik folgen und auf einen Teil der Welt begrenzt sein. Ein Perser kommt nach Paris und beschreibt Frankreich so, wie ein Pariser Persien beschreiben würde. Die Wirkung ist paradox, weil sie den Leser zwingt, die Dinge anders als in der gewohnten Perspektive zu sehen.
    Eine der Prüfungen, durch die sich ein Paradox von einem kanzerisierbaren Aphorismus unterscheiden läßt, ist der Versuch, es umzukehren. Pitigrilli zitiert eine Definition des Zionismus von Tristan Bernard, die offensichtlich vor der Gründung des Staates Israel formuliert worden sein muß: »wenn ein Jude einen anderen Juden um Geld bittet, um einen dritten Juden nach Palästina zu schicken.« Man probiere nur, das umzukehren: Es geht nicht. Woran man sieht, daß die korrekte Form tatsächlich eine Wahrheit enthielt - oder jedenfalls das, was Bernard als Wahrheit anerkannt haben wollte.
    Nehmen wir nun eine Reihe berühmter Paradoxa von Karl Kraus. Ich versuche gar nicht, sie umzukehren, da das, wie sich bei kurzem Nachdenken zeigt, unmöglich ist. Sie sind allesamt Träger einer unkonventionellen, gegen die gängige Meinung gerichteten Wahrheit. Sie lassen sich nicht zum Ausdruck der gegenteiligen Wahrheit verbiegen.
    Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.
    Zur Vollkommenheit fehlte ihr nur ein Mangel.
    Das Virginitätsideal ist das Ideal jener, die entjungfern wollen.
    Die Unzucht mit Tieren ist verboten, das Schlachten von Tieren ist erlaubt.
    Aber hat man noch nie bedacht, daß es ein Lustmord sein könnte?
    Die Strafen dienen zur Abschreckung derer, die keine Sünden begehen wollen.
    Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.
    Kinder spielen Soldaten. Das ist sinnvoll. Warum aber spielen Soldaten Kinder?
    Die Irrsinnigen werden von den Psychiatern allemal daran erkannt, daß sie nach der Internierung ein aufgeregtes Benehmen zur Schau tragen.
    Natürlich ist auch Karl Kraus nicht gegen die Sünde des kanzerisierbaren Aphorismus gefeit; hier einige seiner Sprüche, die leicht widerlegt und folglich umgedreht werden können (die kursiven Umkehrungen sind naturgemäß von mir):
    Nichts ist unergründlicher als die Oberflächlichkeit des Weibes.
    Nichts ist oberflächlicher als die Unergründlichkeit des Weibes.
    Lieber ein häßlicher Fuß verziehen als ein häßlicher Strumpf!
    Lieber ein häßlicher Strumpf verziehen als ein häßlicher Fuß!
    Es gibt Frauen, die nicht schön sind, sondern nur so aussehen.
    Es gibt Frauen, die schön sind, aber nicht so aussehen.
    Der Übermensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Menschen voraussetzt.
    Der Mensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Übermenschen voraussetzt.
    Das Vollweib betrügt, um zu genießen. Das andere genießt, um zu betrügen.
    Das Vollweib genießt, um zu betrügen. Das andere betrügt, um zu genießen.
    Die einzigen Paradoxe, die sich fast niemals kanzerisieren lassen, sind die von Stanislaw Jerzy Lec. Hier eine kurze Liste seiner Unfrisierten Gedanken: 3
    Könnte man den Tod doch abzahlen, indem man ihn in Raten schliefe!
    Ich habe von der Wirklichkeit geträumt. Welche Erleichterung, zu erwachen!
    Sesam öffne dich - ich möchte hinaus!
    Wer weiß, was Kolumbus entdeckt hätte, wenn ihm Amerika nicht in die Quere gekommen wäre!
    Wie schrecklich: ein mit Honig beschmierter Knebel.
    Der Krebs

Weitere Kostenlose Bücher