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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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kompliziertes Instrument, das Sprachen lehrt, aber am Sprechen hindert.
    Fragmente: eine Himmelsgabe für Schriftsteller, die keine ganzen Bücher zustande bringen.
    Dipsomanie: ein medizinischer Fachausdruck, der so schön ist, daß er einem Lust macht zu trinken.
    Andere formulieren weniger eine angebliche Wahrheit als eine ethische Entscheidung oder Handlungsmaxime:
    Ich verstehe den Kuß für einen Leprakranken, aber nicht den Händedruck mit einem Kretin.
    Sei nachsichtig mit denen, die dir ein Unrecht getan haben, denn du weißt nicht, was die anderen für dich bereithalten.
    Doch gerade in jenem Band mit dem schönen Titel Dizionario antiballistico (Mailand, Sonzogno, 1962), in dem er Maximen, Sprüche und Aphorismen von sich und anderen versammelt, warnt Pitigrilli, der stets und um jeden Preis zynisch sein wollte, auch auf die Gefahr hin, treuherzig seine Bosheiten zu gestehen, wie tückisch das Spiel des Aphorismus sein kann:
    Da wir schon einmal bei Vertraulichkeiten sind, gestehe ich, daß ich das Rowdytum des Lesers gefördert habe. Ich meine folgendes: Wenn auf der Straße ein Streit ausbricht oder ein Verkehrsunfall passiert, taucht häufig plötzlich wie aus den Eingeweiden der Erde ein Individuum auf und versucht, einem der beiden Streithähne, gewöhnlich dem Automobilisten, seinen Regenschirm über den Schädel zu hauen. Der unbekannte Rowdy läßt seine latente Wut heraus. Ähnliches kommt auch in Büchern vor: Wenn ein Leser, der keine Ideen hat oder nur solche in formlosem Zustand, auf einen pittoresken, phosphoreszierenden oder explosiven Satz stößt, verliebt er sich in ihn, adoptiert ihn, versieht ihn mit einem Ausrufungszeichen am Rande, mit einem »gut!« oder »richtig!«, als hätte er schon immer so gedacht, als wäre dieser Satz die Quintessenz seines Denkens und Philosophierens. Er »bezieht Position«, wie der Duce sagte. Ich biete ihm die Möglichkeit, Position zu beziehen, ohne daß er in den Dschungel der verschiedenen Literaturen eintauchen muß.
    So verstanden, drückt der Aphorismus auf brillante Weise einen Gemeinplatz aus. Vom Harmonium zu sagen, es sei »ein Pianoforte, das sich angeekelt vom Leben in die Religion geflüchtet hat«, ist nichts als eine effektvolle Formulierung dessen, was wir schon wußten und glaubten, nämlich daß das Harmonium ein Kircheninstrument ist. Vom Alkohol zu sagen, er sei »eine Flüssigkeit, welche die Lebenden tötet und die Toten konserviert«, fügt dem, was wir über die Gefahren der Trunksucht und die Gebräuche in anatomischen Instituten wußten, nichts hinzu.
    Wenn Pitigrilli (in Esperimento di Pott, Mailand, Sonzogno, 1929) seinen Protagonisten sagen läßt: »Intelligenz bei Frauen ist eine Anomalie, die so selten auftritt wie Albinotum, Linkshändigkeit, Hermaphroditismus oder Polydaktilie«, dann sagt er genau das, wenn auch auf witzige Weise, was der männliche Leser (und vermutlich auch die weibliche Leserin von 1929) zu lesen erwarteten.
    Doch, bei aller Kritik an seiner vis aphoristica, sagt Pitigrilli noch etwas mehr, nämlich daß viele glänzende Aphorismen auch umgedreht werden können, ohne dadurch an Kraft zu verlieren. Sehen wir uns einige der von ihm selbst vorgebrachten Beispiele solcher Umkehrung an (Dizionario, cit., S. 199 ff.):
    Viele verachten die Reichtümer, aber nur wenige wissen sie zu verschenken.
    Viele wissen Reichtümer zu verschenken, aber nur wenige verachten sie.
    Wir versprechen gemäß unseren Befürchtungen und halten gemäß unseren Hoffnungen.
    Wir versprechen gemäß unseren Hoffnungen und halten gemäß unseren Befürchtungen.
    Die Geschichte ist nur ein Abenteuer der Freiheit.
    Die Freiheit ist nur ein Abenteuer der Geschichte.
    Das Glück liegt in den Dingen und nicht in unserem Geschmack.
    Das Glück liegt in unserem Geschmack und nicht in den Dingen.
    Überdies stellt er Maximen verschiedener Autoren zusammen, die zwar einander widersprechen, aber dennoch eine gesicherte Wahrheit auszudrücken scheinen:
    Man täuscht sich nur aus Optimismus (Hervieu).
    Man wird öfter durch Mißtrauen als durch Vertrauen getäuscht (Rivarol).
    Die Völker wären glücklich, wenn die Könige philosophierten und die Philosophen regierten (Plutarch).
    Wenn ich eine Provinz bestrafen will, werde ich sie von einem Philosophen regieren lassen (Friedrich II.).
    Ich werde für diese umkehrbaren Aphorismen hier den Begriff »kanzerisierbare Aphorismen« verwenden. Der kanzerisierbare - also krebsanfällige - Aphorismus

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