Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
Eingang der lodernden Mühle lagen Tote und Verwundete, und einige davon bewegten sich noch. Die Frau, die Thomas erschossen hatte, starrte ihn aus weit aufgerissenen, toten Augen an. Plötzlich zischte aus dem Waldstück, das zwischen der Mühle und der darüberliegenden Stadtmauer lag, ein Armbrustbolzen, der Thomas nur knapp verfehlte und platschend im Wasser landete, doch unmittelbar darauf flog ein weiß gefiederter Pfeil von der Brustwehr und verschwand zwischen den Bäumen, wo der Armbrustschütze sich verbarg. Danach kamen keine weiteren Bolzen mehr.
Eine der Frauen glitt auf dem Wehr aus und stürzte mit einem gellenden Schrei in den schäumenden Fluss. «Lasst sie!», rief Philin.
«Den Pfad hinauf!», brüllte Thomas. «Beeilt euch!» Er schickte einen der coredors vor, der mit einer Axt bewaffnet war; der Mann sollte die kleine Pforte in der Mauer einschlagen. Dann drehte er sich zu den Armbrustschützen auf der anderen Seite des Flusses um. «Kommt!», rief er ihnen zu, und obgleich keiner von ihnen Englisch sprach, verstanden sie, was er ihnen sagte.
Ein gewaltiges Krachen ertönte, und begleitet von einem Funkenregen brach ein Teil des Mühlendaches ein. Da tauchte auf einmal ein Mann im Eingang auf. Er war groß und trug kein Kettenhemd, sondern ein Lederwams. Sein Haar rauchte, und sein Gesicht, das hässlicher war als alles, was Thomas je gesehen hatte, war von Hass verzerrt. Der Mann sprang über die Toten und Sterbenden, und für einen Augenblick dachte Thomas, er wolle auf ihn losgehen, doch dann wandte er sich ab und versuchte zu fliehen. Thomas spannte die Sehne, und der Pfeil bohrte sich mit solcher Wucht zwischen die Schulterblätter des Fliehenden, dass der Mann vornüberfiel und seinen Gürtel verlor, an dem ein Schwert, ein Messer und ein Bolzenköcher hingen. Da Ersatzbolzen immer willkommen waren, lief Thomas hinterher, um den Gürtel aufzuheben. Doch als er sich bückte, packte ihn der Mann, der tödlich verwundet sein musste, am Knöchel. «Bastard», zischte er auf Französisch. «Bastard!»
Thomas trat dem Mann ins Gesicht, dass die Zähne knirschten, dann rammte er ihm den Absatz in den Kiefer. Der Sterbende ließ los, und Thomas trat noch einmal zu, um sicherzugehen, dass er sich nicht mehr rührte. «Den Hügel hinauf!», rief er. Als er Geneviève erblickte, die ebenfalls sicher am anderen Ufer angekommen war, warf er ihr den Gürtel zu und stieg hinter ihr den Pfad hinauf, der zu der kleinen Pforte an der Rückseite von St. Sardos führte. Ob die Belagerer sie bewachten? Doch falls sie es taten, würde es ungemütlich für sie werden, denn jetzt waren noch mehr Bogenschützen auf der Brustwehr, und sie schossen hinunter auf die Stadt. Sie standen kurz auf, schossen und duckten sich sofort wieder, und Thomas hörte, wie Armbrustbolzen gegen die Steinmauer klirrten.
Der Pfad war steil und aufgeweicht. Thomas wandte sich immer wieder um und hielt Ausschau nach Feinden, doch am Hang war niemand zu sehen. Er lief, so schnell er konnte, rutschte aus und rappelte sich wieder auf, die Stadtmauer schon fast zum Greifen nah. Geneviève stand in dem schmalen Durchgang und wartete auf ihn. Thomas erklomm das letzte Stück fast auf allen vieren, dann stürzte er durch die zersplitterte Pforte und folgte Geneviève durch die dunkle Gasse auf den Platz vor der Burg. Ein Bolzen schlug gegen das Pflaster und prallte ab, jemand brüllte etwas, und aus dem Augenwinkel nahm Thomas Soldaten auf der Hauptstraße wahr. Ein Pfeil schwirrte an seinem Kopf vorbei, als er auf das Tor zurannte, und er sah, dass die eine Seite des Torhauses zerstört war. Ein Haufen Schutt versperrte halb den Eingang, auf dem Vorplatz lagen Tote, bis aufs Hemd entblößt, und Armbrustbolzen schlitterten vor seinen Füßen über den Stein. Er sprang über den Schutthaufen, stützte sich an der unversehrten Seite des Torbogens ab und wollte in die Sicherheit des Hofes laufen, doch das Pflaster unter seinen Füßen war glatt wie Eis, er rutschte aus, stolperte gegen eine hölzerne Barrikade, die mitten im Hof errichtet war, und schlug lang hin.
Von oben grinste ihn das entstellte, einäugige Gesicht von Guillaume d’Evecque an.
«Das wurde aber auch Zeit», sagte der Normanne.
«Allmächtiger», seufzte Thomas. Die coredors waren alle da, außer der Frau, die vom Wehr gestürzt war, und auch Geneviève war in Sicherheit. «Ich dachte, ihr könntet Hilfe gebrauchen.»
«Und du glaubst, du könntest uns helfen?»
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