Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
stürmen», sagte Vexille.
Joscelyn beachtete ihn nicht. «Sie sterben, sagt Ihr?» Er sah den Pfarrer hilflos an.
Vater Medous nickte. In seinen Augen standen Tränen. «Es ist eine Pestilenz, Herr. Sie schwitzen, übergeben sich, entleeren ihre Gedärme, bekommen schwarze Beulen und sterben.»
«Großer Gott.»
«Galat Lorret ist tot, und seine Frau ist auch bereits krank. Meine Haushälterin hat es ebenfalls ereilt. Die Luft ist vergiftet, Herr.» Hilfesuchend hob er den Blick zum ausdruckslosen Gesicht des jungen Grafen. «Wir brauchen Ärzte, Herr, und nur Ihr könnt sie aus Berat kommen lassen.»
Joscelyn schob sich an dem knienden Pfarrer vorbei auf die Straße. Im Eingang der Schankstube saßen zwei seiner Soldaten, schweißüberströmt und mit grotesk geschwollenen Gesichtern, und starrten ihn aus glasigen Augen an. Aus den Häusern erklang das Schreien und Wehklagen von Müttern, die hilflos zusehen mussten, wie ihre Kinder starben. Von den verkohlten Überresten des Feuers stiegen noch immer schmale Rauchfahnen in den trüben Himmel, und alles schien mit Asche bedeckt. Joscelyn erschauerte. Dann sah er Henri Courtois gesund und unversehrt aus der Kirche St. Callic kommen, und in seiner Erleichterung hätte er ihn beinahe umarmt. «Wisst Ihr, was hier los ist?», fragte er den älteren Mann.
«Es scheint eine Seuche zu sein, Herr.»
«Die Luft ist vergiftet, nicht wahr?», sagte Joscelyn, wie er es von Vater Medous aufgeschnappt hatte.
«Das weiß ich nicht», sagte Courtois müde. «Aber ich weiß, dass mehr als zwanzig Eurer Männer erkrankt sind, und drei sind bereits tot. Robbie Douglas ist ebenfalls krank. Er fragt nach Euch, Herr. Er bittet Euch, ihm einen Arzt zu besorgen.»
Joscelyn ging nicht darauf ein, sondern schnüffelte vorsichtig. Er roch die Überreste des Feuers und den Gestank von Erbrochenem, Kot und Urin. Es waren ganz alltägliche Gerüche einer Stadt, doch nun erschienen sie ihm irgendwie bedrohlicher. «Was sollen wir tun?», fragte er hilflos.
«Die Kranken brauchen Hilfe», erwiderte Courtois. «Sie brauchen Ärzte.» Und Totengräber, dachte er, sprach es jedoch nicht aus.
«Die Luft ist vergiftet», sagte Joscelyn noch einmal. Der widerwärtige Geruch schien immer durchdringender zu werden, er belagerte ihn, bedrohte ihn, und er spürte, wie ihn Panik überkam. Er konnte gegen einen Mann kämpfen, sogar gegen eine Armee, aber nicht gegen diesen lautlosen, heimtückischen Gestank. «Wir gehen», beschloss er. «Jeder Mann, der noch nicht von dieser Krankheit befallen ist, soll sich abmarschbereit machen. Sofort!»
«Wir gehen?», fragte Courtois verwirrt.
«Jawohl!», sagte Joscelyn mit Nachdruck. «Lasst die Kranken zurück. Befehlt den Männern, sich bereit zu machen und die Pferde zu satteln.»
«Aber Robbie Douglas verlangt Euch zu sehen», sagte Courtois. Als Lehnsherr war es Joscelyns Pflicht, sich um Robbie zu kümmern, doch der junge Graf war nicht in der Stimmung, Kranke zu besuchen. Die Kranken sollten zusehen, wie sie alleine zurechtkamen. Er würde so viele Männer wie möglich vor diesem Grauen retten.
Innerhalb einer Stunde verließen sie Castillon d’Arbizon. Ein Schwarm von Reitern floh in gestrecktem Galopp vor der Seuche in die Sicherheit der großen Festung von Berat. Die Armbrustschützen, von Joscelyn und seinen berittenen Soldaten im Stich gelassen, folgten zu Fuß, und auch von den Einwohnern verließen viele fluchtartig die Stadt. Eine große Zahl von Vexilles Männern machte sich ebenfalls aus dem Staub, genauso wie die paar Kanoniere, die noch nicht von der Seuche befallen waren. Sie ließen Höllenfeuer stehen, stahlen die Pferde der Kranken und ritten davon. Der Einzige, der von Joscelyns gesunden Leuten blieb, war Henri Courtois. Er hatte keine Angst mehr vor dem Tod, und Männer, die ihm viele Jahre gedient hatten, litten furchtbare Qualen. Er wusste nicht, ob und wie er ihnen helfen konnte, aber was in seiner Macht stand, würde er tun.
Guy Vexille ging in die Kirche St. Callic und scheuchte die Frauen hinaus, die dort beteten. Er wollte mit Gott allein sein, und obgleich er überzeugt war, dass in den Kirchen nur noch ein verderbter Glaube praktiziert wurde, waren sie doch ein Hort des Gebets, und so kniete er vor dem Altar und sah zu dem gekreuzigten Leib Jesu hinauf, der darüberhing. Das gemalte Blut quoll aus den schrecklichen Wunden, und Guy starrte darauf, ohne die Spinne zu beachten, die zwischen dem Lanzenschnitt in der
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