Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
verstummte die Glocke, und Stille senkte sich über die Nacht.
Da legte er sich wieder hin und schlief weiter.
T homas schrak hoch. Ein Mann stand vor ihm, eine große, dunkle Gestalt vor dem trüben Morgenlicht, das durch die offene Tür hereinfiel. Instinktiv griff er nach seinem Schwert, doch der Mann wich zurück und machte eine begütigende Geste. «Ich wollte dich nicht wecken», sagte er leise. Seine Stimme war dunkel und ohne jede Drohung.
Der Unbekannte war ein Mönch. Thomas konnte sein Gesicht nicht sehen, doch die weiße Kutte schimmerte in der Dunkelheit. Der Mönch trat wieder näher und betrachtete Geneviève prüfend. «Wie geht es deiner Gefährtin?», fragte er.
Geneviève schlief. Vor ihrem Mund lag eine blonde Haarsträhne, die sich bei jedem Atemzug bewegte. «Gestern Abend ging es ihr schon besser», sagte Thomas leise.
«Das ist gut.» Der Mönch bückte sich, hob Thomas’ Bogen auf und ging damit zur Tür, wo er ihn in dem fahlen grauen Licht musterte. Wie immer verspürte Thomas Unbehagen, wenn ein Fremder seine Waffe in die Hand nahm, doch er sagte nichts, und nach einer Weile lehnte der Mönch den Bogen an Bruder Cléments Arzneitisch. «Ich würde gerne mit dir sprechen», sagte er. «Treffen wir uns im Kreuzgang, wenn du so weit bist?»
Es war ein kalter Morgen. Auf der Wiese zwischen den Olivenbäumen und dem Rasenstück im Innenhof des Klosters lag Tau. In einer Ecke des Kreuzgangs stand ein Wassertrog, an dem die Mönche, die gerade vom Frühgebet kamen, sich Gesicht und Hände wuschen. Thomas suchte den großen Mönch zunächst unter ihnen, entdeckte ihn dann jedoch auf einer niedrigen Mauer zwischen zwei Pfeilern an der Südseite des Kreuzgangs. Der Mönch winkte ihn zu sich, und Thomas sah, dass er sehr alt war. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen und strahlte Wärme und Freundlichkeit aus. «Deine Gefährtin ist in den besten Händen», sagte er zu Thomas, als dieser sich zu ihm setzte. «Bruder Clément ist ein sehr erfahrener Heiler, aber er und Bruder Ramón vertreten unterschiedliche Ansichten, und deshalb muss ich die beiden getrennt halten. Ramón kümmert sich um den Krankentrakt, und Clément versorgt die Aussätzigen. Ramón ist ein richtiger Arzt, ausgebildet in Montpellier, daher müssen wir seinen Anweisungen natürlich folgen, aber er scheint keine anderen Heilmittel zu kennen als das Gebet und den Aderlass. Er setzt sie bei jedem Leiden ein, während Bruder Clément offenbar eine ganz eigene Art von Magie anwendet. Wahrscheinlich sollte ich das missbilligen, aber ich muss gestehen, wenn ich krank wäre, würde ich es vorziehen, von Bruder Clément behandelt zu werden.» Er lächelte Thomas an. «Mein Name ist übrigens Planchard.»
«Der Abt?»
«Ganz recht. Und ihr seid in unserem Haus herzlich willkommen. Es tut mir leid, dass ich euch gestern nicht begrüßen konnte. Bruder Clément hat mir erzählt, du machst dir Sorgen, weil ihr im Aussätzigenspital untergebracht seid? Das brauchst du nicht. Meiner Erfahrung nach wird das Leiden nicht durch Kontakt mit Erkrankten übertragen. Ich habe seit vierzig Jahren mit Aussätzigen zu tun, und wie du siehst, fehlt mir nicht einmal ein Finger, und Bruder Clément lebt und arbeitet bei ihnen, ohne sich je angesteckt zu haben.» Der Abt verstummte und bekreuzigte sich, und Thomas dachte zuerst, der alte Mann wolle das Böse in Form dieser unheilbaren Krankheit abwenden, doch dann sah er, dass Planchard zur anderen Seite des Kreuzgangs hinüberschaute. Thomas folgte seinem Blick. Zwei Mönche trugen einen Leichnam auf einer Bahre hinaus. Das Gesicht des Toten war mit einem weißen Tuch bedeckt, und auf seiner Brust lag ein Kruzifix, das nach wenigen Schritten hinunterfiel, sodass die Mönche anhalten und es aufheben mussten. «Wir hatten hier letzte Nacht ein wenig Aufregung», sagte Planchard ruhig.
«Aufregung?»
«Du hast doch sicher die Glocke gehört, oder? Leider wurde sie zu spät geläutet. Nach Einbruch der Dunkelheit sind zwei Männer in das Kloster gekommen. Da unser Tor nie verschlossen ist, hatten sie keine Schwierigkeiten, bei uns einzudringen. Sie haben den Torwächter an Händen und Füßen gefesselt und sind in den Krankentrakt gegangen. Dort lag der Graf von Berat, umgeben von seinem Knappen und drei Soldaten, die ein schreckliches Gefecht im benachbarten Tal überlebt hatten.» Planchard deutete mit der Hand nach Westen, ließ jedoch nicht erkennen, ob er ahnte oder wusste, dass Thomas
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