Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
musste ich an einen der Psalmen Davids denken», sagte er. «‹Dominus pascit me nihil mihi deerit.› »
«‹In pascuis herbarum adclinavit me›» , führte Thomas das Zitat fort.
«Ich verstehe, weshalb sie dich für einen Mönch gehalten haben», bemerkte Planchard amüsiert. «Ist dieser Psalm nicht so zu verstehen, dass wir Schafe sind und der Herr unser Hirte? Warum sollte er uns sonst auf die Weide führen und mit einem Stab beschützen? Aber was ich nie so recht begriffen habe, ist, warum der Hirte den Schafen die Schuld gibt, wenn sie krank werden.»
«Gott gibt uns die Schuld?»
«Ich kann nicht für Gott sprechen», sagte Planchard, «nur für die Kirche. Wie sagte Jesus? ‹Ego sum pastor bonus, bonus pastor animam suam dat pro ovibus suis.› Ich bin der gute Hirte, und der gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Die Kirche führt das Werk Jesu fort oder sollte es zumindest, doch manche Geistliche sind allzu erpicht darauf, die vermeintlich schwachen Mitglieder ihrer Herde auszumerzen.»
«Und Ihr gehört nicht dazu?»
«Nein, aber lass dich von dieser Schwäche nicht zu dem Irrglauben verleiten, ich würde deine Tat billigen. Ich billige weder deine Tat, Thomas, noch die deiner Gefährtin, aber ebenso wenig kann ich eine Kirche gutheißen, die den Schmerz als Mittel einsetzt, um die Liebe Gottes in eine sündige Welt zu bringen. Böses zeugt Böses, es breitet sich aus wie Unkraut. Gute Taten hingegen sind zarte Schösslinge, die sorgfältige Pflege brauchen.» Er hing eine Weile seinen Gedanken nach, dann lächelte er Thomas an. «Aber meine Pflicht liegt auf der Hand, nicht wahr? Ich sollte euch beide dem Bischof von Berat übergeben, auf dass seine Scheiterhaufen Gottes Werk verrichten.»
«Und Ihr seid gewiss ein Mann, der seine Pflicht erfüllt», erwiderte Thomas sarkastisch.
«Ich bin ein Mann, der – Gott stehe mir bei – versucht, gut zu sein. So zu sein, wie Jesus es wollte. Manchmal wird uns eine Pflicht von anderen aufgetragen, und wir müssen prüfen, ob sie uns hilft, gut zu sein. Ich billige eure Taten nicht, aber ich sehe ebenso wenig, welchen Sinn es haben sollte, euch zu verbrennen. Also werde ich meinem Gewissen folgen, das mich anweist, euch nicht dem Scheiterhaufen des Bischofs zu übergeben. Im Übrigen» – er lächelte erneut – «wäre es eine schreckliche Verschwendung von Bruder Cléments Heilkräften, euch zu verbrennen. Er hat mir gesagt, er will eine Knocheneinrenkerin aus dem Dorf kommen lassen, die versuchen soll, die Rippe deiner Gefährtin zu richten. Allerdings hat er mich gleich gewarnt, dass Rippen sich nur sehr schlecht richten lassen.»
«Bruder Clément hat mit Euch gesprochen?»
«Du lieber Himmel, nein! Der arme Bruder Clément kann überhaupt nicht sprechen. Er war einst Galeerensklave. Die Mohammedaner haben ihn bei einem Überfall auf Livorno gefangen genommen – oder war es Palermo? Sie haben ihm die Zunge herausgerissen, vermutlich weil er sie beleidigt hat, und noch etwas anderes abgeschnitten, was wohl der Grund dafür war, dass er Mönch wurde, nachdem eine venezianische Galeere ihn gerettet hatte. Jetzt kümmert er sich um die Bienenstöcke und pflegt unsere Aussätzigen. Wenn er mir etwas mitteilen will, zeigt und gestikuliert er oder malt etwas in den Staub, und irgendwie schaffen wir es, uns zu verständigen.»
«Was werdet Ihr denn mit uns tun?», fragte Thomas.
«Tun? Ich? Gar nichts! Ich werde höchstens für euch beten und euch alles Gute wünschen, wenn ihr aufbrecht. Aber ich wüsste gern, weshalb ihr hier seid.»
«Weil wir exkommuniziert worden sind und meine Leute nichts mehr mit mir zu tun haben wollten.»
«Ich meine, warum ihr überhaupt in die Gascogne gekommen seid», sagte Planchard geduldig.
«Der Earl of Northampton hat mich geschickt.»
«Ich verstehe.» Planchards Tonfall ließ erkennen, dass er Thomas’ Ausweichmanöver durchschaute. «Aber der Earl hatte doch gewiss seine Gründe, oder?»
Thomas schwieg. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kreuzgangs erblickte er Philin; er hob die Hand zum Gruß, und der coredor lächelte ihm zu. Offenbar ging es seinem Sohn schon wieder besser.
Planchard ließ nicht locker. «Warum hat der Earl dich geschickt, Thomas?»
«Castillon d’Arbizon gehörte einst zu seinem Besitz. Er wollte es zurückhaben.»
«Es war nur sehr kurze Zeit in seinem Besitz», entgegnete Planchard scharf, «und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Earl so arm an Ländereien ist,
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