Die Bücher von Umber, Band 3: Das Ende der Zeit
zerren diese Fesseln an meinem Herzen. Ich spüre, wie sie wieder nach mir greifen.«
»Jetzt verstehe ich.« Umber schniefte und rieb sich mit den Daumen die Augen. Seine Stimme war heiser. »Ich wollte noch so viel tun, um dich auf deine Aufgabe vorzubereiten. Ich weià nicht, was ich sagen soll.«
»Sie könnten einfach nichts sagen, und ich würde Sie trotzdem verstehen.«
»Aber warum gerade hier? Warum verlässt du uns gerade an dieser Stelle?«
Hap betrachtete etwas, was Umber nicht sehen konnte. »Als meine Fähigkeiten einsetzten, wusste ich immer noch nicht, wie man in die andere Welt gelangen kann. Es gab im Wedernoch einfach nichts, woran ich das erkannt hätte. Die Antwort habe ich erst erfahren, als ich zum Fernen Kontinent gereist bin. Dort sah ich ihn, in der physischen Welt: einen Korridor.«
»Der für uns andere unsichtbar ist, vermute ich. Wie sieht dieser Korridor denn aus?«
»Dort gibt es an einer Stelle, durch die erst sehr wenige hindurchgegangen sind, eine Handvoll Lichtfäden, die ins Nichts führen. Als ich das sah, wusste ich, dass dort Ihr Freund Doane in diese Welt gebracht worden ist. Und das bedeutete, dass hier, an der Stelle, wo Sie aufgetaucht sind, auch ein solcher Korridor sein würde.«
Umber seufzte tief und lange. Dann stand er auf, lächelte Hap schief und traurig an und breitete die Arme aus. »Gibt es irgendetwas, was ich über mein Schicksal wissen sollte?«
Hap lachte und lieà seine Hand durch den leuchtenden Lichtfaden gleiten, der von Umber ausging. »Ihre Abenteuer sind noch nicht vorbei«, sagte er.
»Dem Schicksal sei Dank!«, erwiderte Umber. Er fuhr mit der Hand durch Haps Haare. »Du bist so plötzlich erwachsen geworden. Ich hatte nie einen Sohn, aber das ist bestimmt genauso. Eines Tages begreift man, dass er kein Kind mehr ist. Und es ist passiert, als man gerade nicht hingeschaut hat.«
Haps grüne Augen glänzten. »Sagen Sie den anderen, dass ich sie vermissen werde.«
»Kommst du irgendwann zurück?«
Die Fröhlichkeit wich aus Haps Miene. »Trotz all meiner neu entdeckten Fähigkeiten ⦠weià ich das nicht, ganz ehrlich.«
»Nun. Dann kann ich hoffen.« Umber schloss die Augen und umarmte seinen jungen Freund.
Und plötzlich hielt er nur noch Luft in seinen Armen.
Epilog
U mber blinzelte in die Dunkelheit. Er gähnte, rollte sich auf die Seite, schwang die Beine aus dem Bett und setzte die FüÃe auf den kalten Steinboden. Es war noch weit vor Tagesanbruch, doch er schlüpfte in seinen wollenen Morgenrock und tastete nach der Brille, die er stets neben dem Bett ablegte. Als er das Tuch von dem Glas mit den Glimmerwürmern zog, drang schwaches Licht heraus, und er erhaschte im Spiegel einen Blick auf seine schütteren grauen Haare und die Falten, die seine Haut durchzogen.
Er ging vorsichtig die Stufen seines wiederaufgebauten Dachturms hinunter, während das Blut durch seine Adern zu flieÃen begann und seine alt werdenden Muskeln erwärmte. Dann öffnete er die Tür und trat auf die Dachterrasse hinaus. Mit zurückgelegtem Kopf erfreute er sich an dem Blumenduft, der ihn anwehte, dann sog er einen tiefen Zug der nach Meer riechenden Luft in seine Lunge.
Plötzlich wurde es kurz dunkler, als hätte sich eine groÃe Schwinge über den Mond gesenkt, dann erklang ein leises Rascheln. Umber bemerkte, dass sich in seinem Augenwinkel etwas bewegte. Und bei dem Anblick, der ihn erwartete, als er sich umdrehte, bekam er weiche Knie.
Dort stand ein zitternder alter Mann. Seine Haut war faltig und welk und er trug Kleidungsstücke, die Umber seit den Tagen in seiner vorherigen Welt nicht mehr gesehen hatte: eine Hose aus schwerem blauem Stoff, eine Jacke mit ReiÃverschluss und Kapuze und eine Brille mit dunklen Gläsern. Die Namen für diese Dinge flatterten aus der hintersten Ecke von Umbers Gedächtnis herbei: Jeans. Kapuzenjacke. Sonnenbrille.
Dann fielen ihm die langen weiÃen Haare des alten Mannes auf, die in allen Farben schillerten. Als der Besucher seine zitternde Hand hob und die Sonnenbrille abnahm, wusste Umber, dass zwei funkelnde grüne Augen dahinter zum Vorschein kommen würden. Und so war es.
Umbers Mund bebte. Er starrte dieses Gesicht an â ein Gesicht, in dem die Zeit ihre Spuren hinterlassen hatte, ein Abbild tiefster Erschöpfung. SchlieÃlich fand er
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