Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
Vom Netzwerk:
hin, ehe ich wieder ging.
    Am fünften Tag war die Aufregung groß, als Max - wenn auch nur für einen Moment - die Augen öffnete. Sein Blickfeld wurde fast gänzlich - ein erschreckender Gedanke, noch dazu so nahe - von Rosa Hubermann ausgefüllt, die praktisch einen ganzen Armvoll Suppe in seinen Mund schüttete. »Schlucken«, befahl sie ihm. »Nicht nachdenken. Nur schlucken.« Sobald Mama ihr die Suppentasse gereicht hatte, wollte Liesel einen Blick auf sein Gesicht erhaschen, aber der Rücken der Suppenfütterin war ihr im Weg.
    »Ist er noch wach?«
    Rosa drehte sich um. Eine Antwort war nicht nötig.
    Nach fast einer Woche wachte Max zum zweiten Mal auf. Diesmal waren Liesel und Papa im Zimmer. Beide betrachteten den Körper im Bett, als sich ein leises Stöhnen vernehmen ließ. Papa fiel fast aus dem Stuhl in die Höhe, wenn das möglich gewesen wäre.
    »Schau doch«, keuchte Liesel. »Max, bleib wach! Bleib wach!«
    Er schaute sie kurz an, aber ohne sie zu erkennen. Die Augen studierten sie, als wäre sie ein Rätsel. Dann waren sie wieder fort.
    »Papa, was ist passiert?«
    Hans ließ sich wieder in den Stuhl fallen.
    Später schlug er vor, dass sie ihm vorlesen solle. »Na komm, Liesel, du bist mittlerweile so gut im Lesen - selbst wenn keiner von uns eine Ahnung hat, woher du dieses Buch hast.«
    »Ich hab's dir doch gesagt, Papa. Eine der Nonnen aus der Schule hat es mir gegeben.«
    Papa hob in gespielter Abwehr die Hände. »Ich weiß, ich weiß.« Er seufzte aus der Höhe zu ihr hinab. »Nur...« Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Lass dich nicht erwischen.« Und das von einem Mann, der einen Juden gestohlen hatte.
    Von diesem Tag an las Liesel Max aus dem Pfeifer vor, während er ihr Bett mit Beschlag belegte. Ärgerlich war nur, dass sie manchmal ganze Kapitel überspringen musste, weil die Seiten fest aneinanderklebten. Das Buch war zwar getrocknet, aber es befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Trotzdem kämpfte sie sich weiter, bis zu dem Moment, wo sie fast drei Viertel hinter sich gebracht hatte.
    Das Buch hatte 396 Seiten.
    Jeden Tag eilte Liesel von der Schule nach Hause, in der Hoffnung, dass es Max besser gehe. »Ist er aufgewacht? Hat er etwas gegessen?«
    »Geh wieder raus«, bat Mama. »Du fragst mir ja noch ein Loch in den Bauch. Mach schon. Geh raus, und spiel Fußball, um Himmels willen.«
    »Ja, Mama.« Sie war schon an der Tür. »Aber du sagst mir gleich Bescheid, wenn er aufwacht, nicht wahr? Erfinde irgendwas. Schrei herum, als ob ich etwas angestellt hätte. Schimpf mit mir. Jeder wird es glauben, keine Sorge.«
    Selbst Rosa musste bei diesen Worten lächeln. Sie legte ihre Fingerknöchel gegen die Hüften und erklärte, dass Liesel noch nicht zu alt für eine ordentliche Abreibung wäre, wenn sie nicht aufpasse, was sie sagte. »Und schieß gefälligst ein Tor«, verlangte sie, »oder du musst gar nicht erst heimkommen.«
    »Klar, Mama.«
    »Besser noch zwei Tore, Saumensch.« »Ja, Mama.«
    »Und versuch nicht ständig, das letzte Wort zu haben!«
    Liesel wollte schon den Mund aufmachen, überlegte es sich aber anders und rannte hinaus, um Rudi auf der schlammigen Straße zu beweisen, wer von ihnen besser Fußball spielte.
    »Wurde auch Zeit, Arschkratzer.« Er hieß sie auf die übliche Art willkommen, während er gleichzeitig um den Ballbesitz kämpfte. »Wo warst du so lange?«
    Eine halbe Stunde später wurde der Ball von einem der wenigen Wagen platt gewalzt, die ihren Weg in die Himmelstraße fanden. Liesel hatte gerade ihr erstes Geschenk für Max Vandenburg gefunden.
    Nachdem sich alle davon überzeugt hatten, dass der Ball ein für alle Mal das Zeitliche gesegnet hatte, gingen sie empört davon und ließen ihn zuckend auf der kalten, mit Blasen übersäten Straße liegen. Liesel und Rudi blieben zurück und beugten sich über den Kadaver. An der Seite gähnte ein Loch, wie ein Mund.
    »Willst du ihn haben?«, fragte Liesel.
    Rudi zuckte mit den Schultern. »Was soll ich mit diesem platten Scheißhaufen von einem Ball anfangen? Den kann man im Leben nicht mehr aufpumpen.«
    »Willst du ihn oder nicht?«
    »Nein danke.« Rudi stupste ihn vorsichtig mit dem Fuß an, als wäre er ein totes Tier. Oder ein Tier, das nur vielleicht tot war.
    Bevor sie sich auf den Heimweg machte, hob Liesel den Ball auf und steckte ihn sich unter den Arm. Sie hörte ihn rufen. »He, Saumensch!« Sie wartete. »Saumensch!«
    Sie gab nach. »Was ist?«
    »Ich hab auch noch ein

Weitere Kostenlose Bücher