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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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nicht nach nebenan. Sie betrachtete jetzt Rosas Gesicht. Es hob sich und sackte zusammen, in einem einzigen Moment.
    »Mama?«
    Rosa hob die Hand. »Geh.«
    Liesel wartete. »Ich sagte, geh.«
    Als sie zu ihm aufschloss, versuchte der heimgekehrte Soldat, ein Gespräch in Gang zu bringen. Wahrscheinlich bedauerte er sein verbales Missgeschick Rosa gegenüber, und er bemühte sich, es unter anderen Worten zu begraben. Er hielt die verbundene Hand hoch und sagte: »Ich kann die Blutung immer noch nicht stoppen.« Liesel war zum ersten Mal froh, als sie Frau Holzingers Küche betrat. Je eher sie anfangen konnte zu lesen, umso besser.
    Frau Holzinger saß da mit Streifen aus Draht in ihrem Gesicht.
    Ihr Sohn war tot.
    Aber das war noch nicht alles.
    Sie würde nie erfahren, wie es wirklich geschah, aber ich kann es euch sagen, denn ich bin derjenige, der Bescheid weiß. Ich scheine immer zu wissen, was passiert, wenn Schnee, Waffen und unterschiedliche menschliche Sprachen im Spiel sind.
    Wenn ich mir anhand der Worte im Buch der Bücherdiebin die Küche von Frau Holzinger vorstelle, sehe ich weder den Herd noch die Kochlöffel oder die Wasserpumpe oder etwas
    Derartiges. Nicht am Anfang jedenfalls. Was ich sehe, ist der russische Winter und der Schnee, der von der Zimmerdecke fällt, und das Schicksal von Frau Holzingers zweitem Sohn.
    Sein Name war Robert, und Folgendes passierte mit ihm.
    EINE K URZE GESCHICHTE AUS DEM KRIEG
    Seine Beine wurden ihm oberhalb der Schienbeine weggerissen, und sein Bruder schaute zu, wie er in einem kalten, stinkenden Lazarett starb.
    Es war in Russland, am 5. Januar 1943. Ein weiterer eisiger Tag. Draußen in der Stadt und im Schnee lagen überall tote Russen und tote Deutsche. Diejenigen, die übrig waren, feuerten auf die unbeschriebenen, weißen Seiten vor ihnen. Drei Sprachen vermischten sich. Die der Russen, die der Kugeln und die der Deutschen.
    Während ich zwischen den gefallenen Seelen hindurchging, sagte einer der Männer: »Mein Bauch juckt.« Er sagte es viele Male. Trotz des Schocks kroch er vorwärts, zu einer dunklen, entstellten Gestalt, die sich auf den Boden ergoss. Als der Soldat mit der Bauchwunde dort ankam, sah er, dass es Robert Holzinger war. Seine Hände waren in Blut gebadet, und er häufte Schnee auf den Bereich oberhalb seiner Schienbeine, wo seine Beine bei der letzten Explosion abgetrennt worden waren. Heiße Hände und ein roter Schrei.
    Dampf stieg vom Boden auf. Der Anblick und der Geruch von fauligem Schnee.
    »Ich bin es«, sagte der Soldat zu ihm. »Peter.« Er zog sich ein paar Zentimeter näher.
    »Peter?«, fragte Robert mit schwindender Stimme. Er fühlte wohl, dass ich in der Nähe war.
    Ein zweites Mal. »Peter?«
    Aus irgendeinem Grund stellen sterbende Männer immer die Fragen, auf die sie die Antwort bereits kennen. Vielleicht wollen sie in dem Gefühl gehen, recht zu haben.
    Die Stimmen klangen plötzlich alle gleich.
    Robert Holzinger fiel nach rechts, auf den kalten, dampfenden Boden. Ich bin mir sicher, dass er mich in diesem Augenblick bereits erwartete.
    Aber ich kam nicht zu ihm.
    Zu seinem Unglück nahm ich ihn an diesem Nachmittag nicht mit, sondern stieg mit den anderen armen Seelen in meinen Armen über den jungen Deutschen hinweg und machte mich auf den Weg zur anderen Seite, zu den Russen.
    Hin und her ging ich.
    Auseinandergenommene Männer.
    Das war kein Skiurlaub, das kann ich euch versichern.
    Wie Michael seiner Mutter erzählte, kam ich erst nach drei sehr langen Tagen zu dem Soldaten, der seine Füße in Stalingrad gelassen hatte. Ich folgte der Einladung in das behelfsmäßige Lazarett und zuckte bei dem Gestank unwillkürlich zurück.
    Ein Mann mit einer verbundenen Hand erzählte dem stummen, erstarrten Soldaten, dass er leben würde. »Du kommst bald heim«, versicherte er ihm.
    Ja, dachte ich. Heim. Für immer.
    »Ich werde auf dich warten«, fuhr er fort. »Eigentlich sollte ich schon Ende der Woche heimfahren, aber ich werde warten.«
    Mitten im nächsten Satz des Bruders sammelte ich die Seele von Robert Holzinger ein.
    Normalerweise muss ich mich anstrengen, um durch das Dach nach draußen zu schauen, wenn ich mich im Innern eines Gebäudes befinde, aber diesmal hatte ich Glück. Ein kleines Stück Dach war zerstört, und ich konnte hindurchsehen. Einen Meter neben mir redete Michael Holzinger immer noch. Ich versuchte, ihn zu ignorieren, und sah auf das Loch über mir. Der Himmel war weiß, aber er zerfiel

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