Die Bücherdiebin
zum wiederholten Mal.
Sie löste ihn sogar ein paar Mal freiwillig im Tor ab, bis alle in der Mannschaft ihn anflehten, wieder seine Position als Torwart zu beziehen.
»Geh wieder ins Tor!«, befahl ihm ein Junge namens Harald Mollenhauer schließlich. »Du kannst doch überhaupt nicht Fußball spielen!« Kurz zuvor hatte Tommi ihn umgerannt, als Harald gerade ein Tor schießen wollte. Er hätte sich zu gerne einen Elfmeter gegeben, aber leider waren Tommi und er in derselben Mannschaft.
Liesel kam aus dem Tor, und es endete jedes Mal damit, dass sie gegen Rudi spielen musste. Sie rempelten sich an, brachten sich gegenseitig zu Fall und beschimpften sich lautstark. Rudis Kommentar lautete: »Diesmal kommt sie damit nicht durch, das dämliche Saumensch. Arschgrobbier. Nie und nimmer.« Er schien es zu genießen, Liesel einen Arschkratzer zu nennen. Ein Kindheitsvergnügen.
Ein weiteres solches Vergnügen war das Stehlen. Teil vier des Sommers 1940.
Es gab viele Dinge, die Rudi und Liesel miteinander teilten, aber das Stehlen schweißte ihre Freundschaft endgültig zusammen. Es ergab sich bei einer passenden Gelegenheit, getrieben von einem machtvollen Umstand - Rudis Hunger. Der Junge war ständig hinter etwas zu essen her.
Ein Problem war die Rationierung, ein weiteres die Tatsache, dass das Geschäft seines Vaters in letzter Zeit nicht besonders gut lief. (Die jüdischen Konkurrenten waren beseitigt worden, die jüdischen Kunden allerdings auch.) Die Steiners kratzten mühsam jeden Pfennig zusammen, um über die Runden zu kommen. Liesel hätte ihm etwas von sich abgegeben, aber auch im Haushalt der Hubermanns herrschte kein Überfluss. Mama kochte meistens Erbsensuppe. Sie bereitete sie am Sonntagabend zu - und nicht nur für eine oder zwei Mahlzeiten. Sie kochte eine derartige Menge an Erbsensuppe, dass sie bis zum folgenden Samstag reichte. Und am Sonntag kochte sie neue. Erbsensuppe, Brot, manchmal eine kleine Portion Kartoffeln oder Fleisch. Man aß den Teller leer, verlangte keinen Nachschlag und beklagte sich nicht.
Am Anfang unternahmen sie etwas, um den Hunger zu vergessen.
Wenn Rudi Fußball spielte, war er nicht hungrig. Ebenso wenig, wenn sie die Fahrräder von Rudis Bruder und Schwester nahmen und damit zu Alex Steiners Laden fuhren oder Liesels Papa besuchten, wenn er gerade Arbeit hatte. Hans Hubermann setzte sich dann zu ihnen und erzählte ihnen im letzten Licht des Nachmittags Witze.
Mit der Ankunft einiger weniger heißer Tage kam eine neue Möglichkeit zur Ablenkung: Liesel wollte in der Amper schwimmen lernen. Das Wasser war immer noch ein bisschen zu kalt zum Schwimmen, aber sie gingen trotzdem hinein.
»Komm schon«, lockte Rudi. »Genau hier. Hier ist es nicht so tief.« Liesel konnte das riesige tiefe Loch, in das sie watete, nicht sehen und sank geradewegs auf den Grund des Flusses. Wie ein Hund paddelnd, rettete sie ihr Leben, obwohl sie an dem Schwall Wasser, den sie geschluck t hatte, beinahe erstickt wäre.
»Du Saukerl«, schimpfte sie, als sie am Flussufer zusammenbrach.
Rudi hielt sich wohlweislich außerhalb ihrer Reichweite auf. Er hatte erlebt, was sie mit Ludwig Schmeikl angestellt hatte. »Was willst du? Jetzt kannst du doch schwimmen, oder nicht?«
Seine Bemerkung heiterte sie nicht im Mindesten auf. Mit klatschnassen Haaren, die ihr am Gesicht klebten, und rotztriefender Nase marschierte sie davon.
Er rief ihr nach: »Heißt das, ich kriege keinen Kuss dafür, dass ich's dir beigebracht habe?«
»Saukerl!«
So eine Frechheit!
Es war unausweichlich.
Die deprimierende Erbsensuppe und Rudis Hunger trieben sie schließlich zum Diebstahl. Sie schlossen sich einer Gruppe von Jugendlichen an, die von den Bauern stahlen. Obsträuber. Es war nach einem Fußballspiel, als Liesel und Rudi erkannten, wie vorteilhaft es war, beide Augen offen zu halten. Sie saßen auf Rudis Eingangstreppe und sahen Fritz Hammer einen Apfel essen. Es war ein Klarapfel, eine Apfelsorte, die im Juli und August reif wird, und er sah in der Hand des Jungen einfach herrlich aus. Drei oder vier weitere beulten sichtbar seine Jackentaschen aus. Liesel und Rudi schlenderten näher.
»Woher hast du die?«, wollte Rudi wissen.
Der Junge grinste nur und sagte: »Pst!« Dann blieb er stehen. Er zog einen Apfel aus seiner Jacke und warf ihn Rudi zu. »Nur anschauen«, warnte er. »Nicht reinbeißen.«
Das nächste Mal, als sie den Jungen dieselbe Jacke tragen sahen - an einem Tag, an dem es
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