Die Bücherdiebin
an den Händen haltenden Schatten tanzten die gemalten Wörter umher, saßen auf ihren Schultern und ihren Köpfen und hingen von ihren Armen herab. »Liesel, wenn du irgendjemandem von dem Mann dort oben erzählst, bekommen wir große Schwierigkeiten.« Er ging auf einem schmalen Grat, versuchte, ihr namenlose Angst einzujagen und sie gleichzeitig so weit zu besänftigen, dass sie ruhig blieb. Er fütterte sie mit seinen Sätzen und schaute sie mit metallischen Augen an. Verzweiflung und Gelassenheit. »Im besten Fall würden Mama und ich weggeholt werden.« Hans machte sich große Sorgen, dass er sie zu sehr ängstigte, aber er musste das Risiko eingehen. Es war ihm lieber, er versetzte sie ein bisschen zu sehr in Furcht als zu wenig. Die Komplizenschaft des Mädchens musste vollkommen und unwiderruflich sein.
Am Ende schaute Hans Hubermann Liesel Meminger an und versicherte sich ihrer uneingeschränkten Aufmerksamkeit.
Er stellte eine Liste von Konsequenzen auf.
»Wenn du jemals jemandem von diesem Mann erzählst...«
Ihren Lehrerinnen.
Rudi.
Egal wem.
Wichtig war einzig und allein die Tatsache, dass alle verwundbar waren. Und bestechlich.
»Als Erstes«, sagte er, »werde ich dir all deine Bücher wegnehmen - und ich werde sie verbrennen.« Er war herzlos. »Ich werde sie in den Küchenherd oder in den Kamin werfen.« Er benahm sich wie ein Tyrann, aber es war notwendig. »Verstanden?«
Der Schock bohrte ein Loch durch sie hindurch, sehr ordentlich und sehr präzise.
Tränen quollen.
»Ja, Papa.«
»Als Nächstes.« Er musste hart bleiben. Er musste sich zusammenreißen. »Werden sie dich mir wegnehmen. Willst du das?«
Sie weinte jetzt, herzzerreißend. »Nein.«
»Gut.« Der Griff um ihre Finger verstärkte sich. »Dann werden sie diesen Mann wegschleppen, und vielleicht Mama und mich auch. Und wir werden niemals wiederkommen.«
Das war's.
Das Mädchen schluchzte so unbeherrscht, dass Papa sie am liebsten in die Arme genommen und festgehalten hätte. Aber er tat es nicht. Stattdessen beugte er den Kopf, bis er ihr geradewegs in die Augen schauen konnte. Dann entließ er seine letzten Worte, mit kaum hörbarer Stimme. »Verstehst du mich?«
Das Mädchen nickte. Sie weinte, und erst jetzt, besiegt und gebrochen, nahm ihr Papa sie in der farbgeschwängerten Luft und im Licht der Kerosinlampe in die Arme.
»Ich verstehe, Papa, wirklich.«
Ihre Stimme presste sich gedämpft gegen seinen Körper, und sie verharrten einige Minuten in dieser Stellung - Liesel mit ihrem zerquetschten Atem und Papa, der ihren Rücken rieb.
Dann kehrten sie nach oben zurück, wo Mama allein und nachdenklich in der Küche saß. Als sie die beiden sah, stand sie auf und winkte Liesel zu sich. Sie sah die getrockneten Tränen, die ihr Gesicht gestreift hatten. Sie zog das Mädchen an sich und übermannte sie mit einer ihrer typischen, rauen Umarmungen. »Alles in Ordnung, Saumensch?«
Sie erwartete keine Antwort.
Alles war gut.
Aber es war auch fürchterlich.
der schläfer
Max Vandenburg schlief drei Tage lang.
Liesel beobachtete ihn etappenweise. Man konnte sagen, dass es ihr bis zum dritten Tag ein Bedürfnis geworden war, nach ihm zu sehen, zu überprüfen, ob er noch atmete. Mittlerweile konnte sie seine Lebenszeichen deuten, die Bewegung seiner Lippen, die länger werdenden Bartstoppeln und das Geäst aus Haaren, das sich ganz sacht bewegte, wenn sein Kopf im Traum zuckte.
Oft, wenn sie so bei ihm stand, überkam sie die erschreckende Vermutung, dass er gerade wach geworden war, dass seine Augen sich einen Spalt geöffnet hatten und sie anschauten - sie beim Beobachten beobachteten. Die Vorstellung, erwischt zu werden, plagte sie und spornte sie gleichzeitig an. Sie fürchtete sich davor. Sie wünschte es sich. Erst wenn Mama sie rief, konnte sie sich losreißen, einerseits erleichtert, andererseits enttäuscht, dass sie vielleicht nicht da wäre, wenn er erwachte.
Manchmal, besonders gegen Ende einer Schlafetappe, sprach er.
Es waren gemurmelte Namen. Eine Liste. Isaak. Tante Ruth. Sarah. Mama. Walter. Hitler. Familie. Freund. Feind.
Sie alle waren bei ihm unter der Decke. Einmal schien er mit sich selbst zu ringen. »Nein«, flüsterte er. Und wieder und wieder: »Nein.«
Im Verlauf ihrer Beobachtungen bemerkte Liesel einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Fremden und sich selbst. Beide waren in einem Zustand der Erschütterung in der Himmelstraße angekommen. Beide hatten sie Albträume.
Als die Zeit reif
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