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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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ein letztes Mal, an den Ellbogen. »Das könnte deine letzte Hoffnung sein.«
    Er schaute ihr in das alternde Gesicht und küsste sie, heftig, auf die Lippen.
    »Komm jetzt.« Walter zog an ihm, während sich Max von seiner Familie verabschiedete, die ihm Geld und ein paar Wertsachen zusteckte. »Da draußen herrscht das reine Chaos, und genau das brauchen wir.«
    Sie gingen, ohne sich umzudrehen. Das quälte ihn.
    Wenn er sich nur ein einziges Mal umgedreht und einen letzten Blick auf seine Familie geworfen hätte, als er die Wohnung verließ. Vielleicht wäre die Schuld dann nicht so schwer. Kein endgültiges Abschiedswort.
    Kein letztes Verschränken der Blicke.
    Nichts außer Weggehen.
    Während der nächsten zwei Jahre versteckte er sich in einem leeren Vorratsraum. Er befand sich in einem Gebäude, wo Walter früher gearbeitet hatte. Es gab sehr wenig zu essen. Und es gab sehr viel Misstrauen. Die noch verbliebenen Juden der Nachbarschaft, die Geld besaßen, wanderten aus. Die Juden ohne Geld versuchten das Gleiche, aber ohne viel Erfolg. Max' Familie gehörte zur letztgenannten Kategorie. Walter schaute gelegentlich nach ihnen, so unauffällig wie möglich. Eines Nachmittags, als er sie wieder besuchen wollte, öffnete ihm eine fremde Person.
    Als Max die Neuigkeit hörte, fühlte sich sein Körper an, als würde er zu einem Knäuel zusammengepresst, wie ein Blatt Papier voller Schreibfehler. Wie Abfall.
    Und doch gelang es ihm jeden Tag, sich wieder zu entknäulen und aufzurichten, voller Verachtung und Dankbarkeit. Zerschlagen, aber aus irgendeinem Grund nicht zerstört.
    Die erste Hälfte des Jahres 1939 war vorbei, und Max versteckte sich nun schon mehr als sechs Monate. Da beschlossen die beiden Männer, dass etwas geschehen musste. Sie holten den Zettel hervor, den seine Mutter Max vor seiner Desertion gegeben hatte. Richtig, seiner Desertion, nicht seiner Flucht. So sah er es jedenfalls, inmitten der Groteske seiner Erleichterung. Ihr und ich, wir wissen bereits, was auf diesem Zettel stand.
    EIN NAME, EINE ADRESSE
    Hans Hubermann Himmelstraße 33, Molching
    »Es wird immer schlimmer«, sagte Walter zu Max. »Sie können uns jeden Augenblick auf die Schliche kommen.« Sie sprachen nur im Dunkeln und am Boden kauernd. »Wir wissen nicht, was noch passieren wird. Vielleicht werde ich geschnappt. Vielleicht musst du dich zu dieser Adresse durchschlagen ... Ich habe zu viel Angst, um jemanden um Hilfe zu bitten. Man könnte mich verhaften.« Es gab nur eine Möglichkeit. »Ich fahre dorthin und schaue mir den Mann an. Wenn er ein Nazi ist, was wahrscheinlich ist, drehe ich mich einfach um und gehe wieder. Wenigstens wissen wir dann, woran wir sind, in Ordnung?«
    Max gab ihm alles Geld, das er hatte, um die Reise zu machen, und als Walter ein paar Tage später zurückkehrte, umarmten sie sich, bevor Max den Atem anhielt. »Und?«
    Walter nickte. »Er ist in Ordnung. Er spielt immer noch das Akkordeon, von dem dir deine Mutter erzählt hat - das von deinem Vater. Er ist kein Parteimitglied. Und er hat mir Geld gegeben.« In diesem Moment war Hans Hubermann nicht mehr als eine Aufzählung. »Er ist selbst ziemlich arm. Er ist verheiratet, und da ist auch ein Kind, ein Mädchen.«
    Das entzündete Max' Interesse noch mehr. »Wie alt?«
    »Zehn. Man kann nicht alles haben.«
    »Tja, Kinder reden viel.«
    »Wir müssen uns glücklich schätzen, so, wie es ist.«
    Sie saßen eine Weile schweigend da. Es war Max, der die Stille störte.
    »Er hasst mich wohl jetzt schon, oder?«
    »Ich glaube nicht. Immerhin hat er mir Geld für dich gegeben, oder etwa nicht? Er sagte, ein Versprechen ist ein Versprechen.«
    Eine Woche später kam ein Brief. Hans bestätigte Walter Kugler, dass er versuchen werde, hilfreiche Dinge zu schicken, wann immer es möglich sei. Mit dem Brief kamen sowohl eine Straßenkarte von Molching und dem Großraum München als auch eine Wegbeschreibung von Pasing nach Molching (er sollte in München umsteigen und den Zug nach Pasing nehmen), bis zu Hubermanns Haustür. Die letzten Worte in seinem Brief waren unmissverständlich.
    Seien Sie vorsichtig.
    Mitte Mai 1940 kam Mein Kampf mit der Post. Auf der Innenseite des Einbands war ein Schlüssel aufgeklebt.
    Der Mann ist ein Genie, entschied Max, aber trotzdem überkam ihn ein Schauer, wenn er daran dachte, nach München fahren zu müssen. Neben allem anderen, was er sich wünschte, hätte er diese Fahrt liebend gerne vermieden.
    Aber man bekommt

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