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Die Bücherdiebin

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Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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sechs Runden um den Platz.« Sie gehorchten, aber nicht schnell genug. »Los!« Seine Stimme jagte sie voran.
    Nachdem die sechs Runden vollendet waren, ging es weiter: aus dem Laufen auf den Boden werfen, aufstehen, auf den Boden werfen... und nach fünfzehn schier endlosen Minuten wurden sie ein vermeintlich letztes Mal zu Boden beordert.
    Rudi schaute nach unten.
    Ein fast eiförmiger Kreis aus Schlamm grinste zu ihm hoch. Was guckst du denn so?, schien er zu fragen. »Runter!«, befahl Franz.
    Rudi sprang über den Schlammkreis und ließ sich auf den Bauch fallen.
    »Hoch!« Franz grinste. »Einen Schritt zurück.« Sie gehorchten. »Runter!«
    Die Botschaft war unmissverständlich, und diesmal beugte sich Rudi. Er tauchte in den Schlamm ein und hielt den Atem an. In diesem Augenblick, als er mit dem Ohr gegen die nasse Erde gepresst dalag, war der Drill zu Ende.
    »Vielen Dank, meine Herren«, sagte Franz Deutscher höflich.
    Rudi rappelte sich auf die Knie, popelte in seinem Ohr und schaute hinüber zu Tommi. Tommi schloss die Augen und zuckte.
    Als sie an diesem Tag in die Himmelstraße zurückkehrten, spielte Liesel Himmel und Hölle mit ein paar von den kleineren Kindern. Sie trug immer noch ihre JM-Uniform. Aus dem Augenwinkel sah sie die beiden traurigen Gestalten auf sich zukommen. Eine davon rief nach ihr.
    Sie trafen sich auf den Treppenstufen vor dem schuhkartonkleinen Haus der Steiners, und Rudi erzählte ihr von dem Ereignis des Tages.
    Nach zehn Minuten setzte sich Liesel hin.
    Nach elf Minuten sagte Tommi, der neben ihr saß: »Es ist alles meine Schuld«, aber Rudi winkte ab, irgendwo zwischen einem Satz und einem Lächeln, wobei er einen Schlammstreifen auf seinem Gesicht mit den Fingern entzweibrach. »Es ist meine...«, fing Tommi wieder an, aber Rudi zerbrach auch den Satz und deutete mit dem Finger auf ihn.
    »Tommi, bitte.« Auf Rudis Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck von Zufriedenheit. Liesel hatte noch nie jemanden gesehen, der so am Boden zerstört und gleichzeitig so durch und durch lebendig war. »Halt einfach den Mund, und... zucke.« Dann fuhr er mit seiner Geschichte fort.
    Er lief auf und ab.
    Er zerrte an seinem Schlips.
    Er warf ihr die Worte zu, die irgendwo vor ihr auf den Zementstufen landeten.
    »Dieser Deutscher«, fasste er munter zusammen. »Der hat's uns ganz schön gezeigt, was, Tommi?«
    Tommi nickte, zuckte und sprach, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge: »Und alles meinetwegen.«
    »Tommi, was habe ich dir gesagt?«
    »Wann?«
    »Gerade eben. Halt den Mund!« »Klar, Rudi.«
    Kurze Zeit später ging Tommi niedergeschlagen nach Hause. Rudi versuchte es mit einer neuen Taktik, die ihm sehr schlau vorkam.

Mitleid.
    Auf den Stufen sitzend, betrachtete er den Schlamm, der zu einem krustigen Belag auf seiner Uniform getrocknet war. Dann schaute er Liesel mit verlorenem Blick in die Augen. »Wie war's, Saumensch?«
    »Wie wäre was?«
    »Du weißt schon ...«
    Liesel reagierte wie üblich. »Saukerl!«, lachte sie und ging dann die paar Schritte nach Hause. Eine irritierende Mischung aus Schlamm und Mitleid war eine Sache, aber Rudi Steiner zu küssen war immer noch etwas völlig anderes.
    Er blieb mit einem traurigen Lächeln auf den Stufen sitzen, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und rief ihr nach: »Eines Tages«, warnte er sie. »Eines Tages, Liesel!«
    Etwas mehr als zwei Jahre später, als Liesel in den frühen Morgenstunden im Keller saß und schrieb, wäre sie zu gerne hinübergegangen, um ihn zu sehen. Ihr war klar, dass diese verflixten Zeiten in der Hitlerjugend seine kriminelle Ader - und gleichzeitig auch ihre - gefördert hatten.
    Denn endlich fing der Sommer an, trotz der unzeitgemäßen Regenschauer. Die Klaräpfel wurden langsam reif. Zeit für ein paar Diebeszüge.
    die verlierer
    Was das Stehlen anging, waren Liesel und Rudi der Meinung, dass sie in der Gruppe sicherer waren. Andi Schmeikl sagte ihnen Bescheid, dass sich die Bande am Fluss treffen würde. Unter anderem sollte ein Plan zum Obststehlen entworfen werden.
    »Also bist du jetzt der Anführer?«, fragte Rudi, aber Andi schüttelte mit sichtbarer Enttäuschung den Kopf. Er wünschte sich wohl, dass er das Zeug zum Anführer hätte.
    »Nein.« Seine kühle Stimme war ungewöhnlich warm. Wie halb durchgebacken. »Das ist jemand anderes.«
    DER NEUE ARTHUR BERG
    Er hatte windiges Haar und wolkige Augen, und er besaß jene Art von krimineller Energie, die dazu führt, dass man keinen

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