Die Büchse der Pandora
ist ein Mann, der uns schon während des Krieges manch harte Nuss zu knacken gegeben hat, ein sehr gerissener Mann, der überall dort auftauchte, wo wir ihn am wenigsten vermuteten. Er ist gebürtiger Russe, spricht aber mehrere Sprachen so perfekt, dass er ohne Weiteres ein halbes Dutzend andere Nationalitäten annehmen kann – unsere eingeschlossen. Außerdem ist er ein Meister in der Kunst der Verkleidung. Und er hat Verstand. Er war es, der den Geheimkode Nr. 16 erfunden hat.
Wann und wo er auftauchen wird, weiß ich nicht. Aber dass er auftauchen wird, weiß ich bestimmt. Wir wissen auch, dass er den echten Mr Theodor Blunt noch nie gesehen hat. Ich nehme an, er wird Sie in Ihrem Büro bitten, einen Fall zu übernehmen. Und dann wird er abwarten, wie Sie auf die Losungsworte reagieren. Das erste ist, wie Sie wissen, die Erwähnung der Zahl 16 – auf die man mit einem Satz zu antworten hat, der ebenfalls diese Zahl enthält. Das zweite Losungswort, das wir jetzt erst erfahren haben, ist die Frage, ob Sie jemals den Ärmelkanal überquert haben. Darauf lautet die Antwort: ›Ich war im vergangenen Monat am 13. in Berlin.‹ Soweit wir informiert sind, ist das alles. Ich würde Ihnen raten, seine Fragen richtig zu beantworten, um damit sein Vertrauen zu gewinnen. Halten Sie die Täuschung aufrecht, solange Sie können. Aber bleiben Sie auf der Hut – selbst wenn Ihnen die Täuschung gelungen zu sein scheint. Unser Freund ist ganz besonders schlau und kennt die Kniffe unseres Berufs genauso gut wie Sie, wenn nicht sogar besser. Trotzdem hoffe ich, ihn mit Ihrer Hilfe fassen zu können. Von heute ab sind besondere Vorsichtsmaßnahmen geboten. Gestern Abend habe ich ein Mikrofon in Ihr Büro einbauen lassen, sodass einer meiner Leute im zweiten Stockwerk alles mithören kann, was in Ihrem Büro vor sich geht. Man wird mich sofort verständigen, wenn der Sonderagent auftaucht. Ich kann dann die nötigen Schritte unternehmen, um Sie und Ihre Frau zu schützen und den Mann zu verhaften.«
Nach einigen allgemeinen Instruktionen und taktischen Ratschlägen nahmen die beiden jungen Leute Abschied und begaben sich in aller Eile zum Büro von »Blunts Brillanten Detektiven«.
Tommy sah auf die Uhr und sagte: »Es ist schon spät, beinahe zwölf. Wir sind sehr lange beim Chef gewesen. Hoffentlich haben wir nicht gerade einen besonders interessanten Fall verpasst.«
»Als Amateure haben wir eigentlich recht gut abgeschnitten«, sagte Tuppence nachdenklich. »Ich finde, dass wir sogar überdurchschnittliche Detektive sind.«
»Und ich finde«, bemerkte Tommy trocken, »dass wir großes Glück gehabt haben.«
»Unsinn! Nur die kleinen grauen Zellen haben uns zu unseren Erfolgen verholfen.«
»Ich weiß nicht«, meinte Tommy skeptisch, »als Albert seinen Lassotrick ausprobierte, hätten sich meine kleinen grauen Zellen beinahe zur Ruhe gesetzt. – Aber, Tuppence, du sprichst, als ob jetzt alles zu Ende wäre?«
»So ist es.« Sie senkte die Stimme und blickte Tommy dabei feierlich an: »Das ist unser letzter Fall. Die großen Detektive begeben sich immer in den Ruhestand, um Bienen zu züchten oder Kürbisse zu pflanzen, sobald sie den Superspion zur Strecke gebracht haben. Das ist bei uns so Brauch.«
»Hast du schon genug?«
»Ja-a, vielleicht. Außerdem hatten wir bis jetzt so viel Erfolg – das Glück kann sich wenden.«
»Wer spricht jetzt von Glück?«, fragte Tommy triumphierend. In diesem Augenblick betraten sie das Treppenhaus des Gebäudes, in dem sich das Detektivbüro befand, und Tuppence blieb die Antwort schuldig.
Albert hatte seinen Dienst im Vorraum zu versehen. In seinen Mußestunden übte er sich in der Kunst, ein Lineal auf der Nase zu balancieren.
Mit vorwurfsvollem Stirnrunzeln durchquerte Mr Blunt den Raum und begab sich in sein Büro. Er legte Mantel und Hut ab und öffnete den Schrank, der die klassischen Werke der Kriminalliteratur enthielt.
»Die Auswahl wird immer geringer«, murmelte Tommy. »Nach wessen Bild soll ich mich heute modeln?«
»Tommy«, fragte Tuppence plötzlich, »welches Datum haben wir heute eigentlich?«
Ein ungewöhnlicher Unterton in ihrer Stimme machte Tommy stutzig.
»Warte mal – der Zehnte. Warum fragst du?«
»Schau auf den Kalender.«
An der Wand neben dem Schreibtisch hing ein Abreißkalender. Dort stand rot auf weiß zu lesen: Sonntag, der 16. – Heute war Montag.
»Merkwürdig. Wahrscheinlich hat Albert wieder zu viel Blätter auf einmal
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