Die Büchse der Pandora
erklären und glaubte, dass die Frau unter irgendeinem religiösen Wahn litt, der sie zu dieser Tat veranlasst hatte. Jedenfalls hielt ich es nicht mehr für nötig, das Papier wieder in die Kabine zurückzubringen. Ich behielt es, ohne weiter daran zu denken, bis ich gestern ein kleines Schiffchen für meinen Neffen daraus machte, damit er sich in der Badewanne die Zeit vertreiben konnte. Als das Papier nass wurde, sah ich plötzlich, dass es mit merkwürdigen Zeichen bedeckt war. Ich nahm es schnell aus dem Wasser und strich es glatt. Durch die Feuchtigkeit war eine geheime Botschaft ans Licht gekommen. Es war eine Art Plan – es sah aus wie – wie eine Hafeneinfahrt. Kurz danach las ich Ihre Anzeige.«
Tommy sprang von seinem Stuhl auf.
»Das ist ja ungeheuer interessant! Jetzt verstehe ich alles! Es handelt sich wahrscheinlich um den Plan einer wichtigen Hafenbefestigung, den diese Frau gestohlen hat. Sie glaubte vielleicht, jemand sei ihr auf der Spur – deswegen hatte sie sich dieses Versteck ausgedacht, weil sie nicht wagte, den Plan in ihrem eigenen Gepäck zu verbergen. Dann eignete sie sich den Koffer an, in dem der Schuh verpackt war. Sagen Sie, Miss March, Sie haben das Blatt doch mitgebracht?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist in meinem Geschäft. Ich habe einen Schönheitssalon in der Bond Street. Ich vertrete nämlich die Zyklamen-Kosmetik, deren Stammhaus sich in New York befindet. Ich dachte, das Blatt sei vielleicht ein Geheimdokument – deshalb habe ich es in meinen Safe gesperrt, bevor ich hierherkam. Sollte man nicht Scotland Yard verständigen?«
»Ja, gewiss.«
»Könnten wir vielleicht in mein Geschäft fahren, das Dokument holen und es direkt zu Scotland Yard bringen?«
»Ich bin leider heute Nachmittag sehr beschäftigt«, sagte Tommy und blickte auf die Uhr. »Der Bischof von London will mir einen Fall unterbreiten.«
»Dann gehe ich allein«, sagte Miss March und stand auf.
Tommy hob die Hand, um zu protestieren.
»Nein, ich wollte gerade sagen, dass der Bischof eben warten muss. Ich werde Albert ein paar Zeilen hinterlassen. – Sie sind in größter Gefahr, Miss March, solange diese Zeichnung nicht im Yard deponiert ist!«
»Glauben Sie wirklich?«, fragte sie ungläubig.
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick!« Er schrieb schnell ein paar Worte auf den Notizblock, der vor ihm lag, und riss dann das Blatt ab. Er nahm Hut und Stock und erklärte der jungen Frau, dass er bereit sei, sie zu begleiten. Im Vorzimmer gab er Albert mit viel sagender Miene das gefaltete Papier.
»Ich habe einen dringenden Fall zu erledigen. Erklär das Seiner Hochwürden. Da sind meine Notizen über den Fall – gib sie Miss Robinson.«
»Sehr wohl, Sir.« Albert ging auf das Spiel ein. »Und was ist mit den Perlen der Herzogin?«
Tommy winkte ungeduldig ab:
»Auch die Herzogin muss warten.«
Miss March und er eilten davon. Im Treppenhaus begegneten sie Tuppence, die gerade vom Essen zurückkam. Ohne stehen zu bleiben, sagte Tommy barsch: »Wieder verspätet, Miss Robinson! Ich muss weg – ich habe eine wichtige Sache zu erledigen!«
Tuppence starrte ihnen verblüfft nach. Kopfschüttelnd stieg sie dann die Treppe zum Büro hinauf.
Als die beiden auf die Straße traten, kam ihnen ein Taxi entgegen. Tommy wollte es rufen, überlegte es sich dann aber anders.
»Sind Sie gut zu Fuß, Miss March?«, fragte er ernst.
»Ja, warum? Sollten wir nicht lieber dieses Taxi nehmen? Wir wären viel schneller da.«
»Sie haben es vielleicht nicht bemerkt – aber dieser Taxichauffeur hat gerade weiter unten an der Straße eine Fahrt abgelehnt. Er hat auf uns gewartet. Ihre Feinde liegen auf der Lauer. Wenn Sie sich kräftig genug fühlen, sollten wir lieber zu Fuß in die Bond Street gehen. Im Gedränge auf der Straße können sie nicht viel gegen uns unternehmen.«
»Wie Sie wollen«, sagte sie, nicht sehr überzeugt.
Sie gingen in westlicher Richtung. Die Straßen wimmelten nur so von Leuten, und sie kamen nur langsam vorwärts. Tommy hielt scharf Umschau nach allen Seiten. Gelegentlich zog er Miss March schnell mit sich auf die andere Straßenseite, obwohl sie selbst nichts Verdächtiges bemerkt hatte. Plötzlich blickte er sie an und machte ein verlegenes, schuldbewusstes Gesicht.
»Ah, Sie sehen aber furchtbar mitgenommen aus! Dieser Mann – das war schon ein böser Schock für Sie! Kommen Sie, gehen wir in ein Café; Sie brauchen eine Tasse
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