Die Burg der Könige
zwanzig Jahre zählte.
Ob er hässlich ist? Eine schiefe Nase hat oder einen Buckel? Ob er mich schlägt? Aber wer will das schon wissen, Hauptsache, sein Vater hat Geld.
Während Philipp von Erfenstein fröhlich weitersang und gelegentlich Geschichten von früher preisgab, ließen sie die baumbestandenen Berge des Wasgaus hinter sich. Hinter den letzten Hügeln fiel das Land schroff ab, die Wälder lichteten sich, und die vorher so reißende Queich floss nun gemächlich dem Rhein zu. Nicht weit hinter dem Städtchen Landau machten sie halt in einer Dorfwirtschaft und verbrachten die Nacht zu zweit in einem großen, wenn auch flohverseuchten Bett. Doch schon früh am nächsten Morgen zogen sie nach einem kargen Frühstück aus Gerstenbrei, hartem Brot und kaltem Fasan weiter nach Speyer. Agnes war schweigsam, was ihrem Vater jedoch nicht weiter auffiel. Ihre trübe Stimmung verbesserte sich nicht eben, als schon bald ein stetiger Regen einsetzte, der sie bis auf die Haut durchweichte.
Am frühen Nachmittag des zweiten Tages flaute der Regen endlich ab, und die Sonne brach durch die Wolken. Vor ihnen erhob sich die Silhouette der Bischofsstadt Speyer, in deren Mitte die hohen Türme des Doms in den Himmel ragten. Darunter schimmerten die Dächer der vielen Fachwerkhäuser, die das kirchliche Areal wie bunte Pilze umstanden. Die Stadt schien seit Agnes’ letztem Besuch vor fast zehn Jahren noch weiter gewachsen zu sein, eine hohe, frisch verputzte Mauer mit etlichen Wachtürmen umgab sie, im Hintergrund war der Flusshafen zu sehen, wo ein breiter Bach in den Rhein mündete.
»Du wirst staunen, was heute am Markttag los ist«, sagte ihr Vater lächelnd. »So viele Menschen auf einmal hast du noch nicht gesehen.«
In der Mauer waren mehrere Tore eingelassen, auf das größte ritten die beiden Reisenden nun zu. Es war ein fast dreißig Schritt hoher Turm, durch den ein breiter Torbogen führte. Die mit Eisen verstärkten Portale standen weit offen, und Agnes und ihr Vater reihten sich ein in die Schlange der Wartenden, die wie sie in die Stadt drängten. Agnes sah dösende Bauern, deren Karren mit Kisten voll Rettich, Spinat und anderem Frühgemüse beladen waren. Daneben stand ein Ochsenfuhrwerk mit tropfenden Weinfässern, Pferde wieherten, Menschen schrien, lachten und schimpften; in der Luft lag etwas ganz anderes als in Annweiler, wo es hauptsächlich nach faulendem Leder stank. Hier vermischten sich die Gerüche von Gemüse, Wein, Hafenwasser, seltenen Gewürzen und den Ausdünstungen vieler Menschen zu einer betörenden Mixtur. An den Zügeln führten sie und ihr Vater die Pferde durch das Tor, und wie damals als Kind blieb Agnes der Mund vor Staunen offen stehen.
Vor ihr lag eine Promenade, die so breit war wie ein ganzes Dorf und in deren Mitte ein Bach floss. Links und rechts erhoben sich die prächtigen Häuser der Patrizier, am östlichen Ende der Straße stand der Dom, dessen Türme so hoch waren, dass sie den Platz davor in lange Schatten tauchten. Auf den Gassen tummelte sich eine bunte Schar Menschen, die zwischen einzelnen Marktständen flanierten. Man kostete hier, feilschte dort, während sich die vielfältigen Stimmen zu einem ohrenbetäubenden Brodeln vereinigten.
»Na, was sagst du?«, rief ihr Vater lachend gegen den Lärm an. »Was für ein Gemurre und Geschnatter! Da bin ich doch froh um unsere ruhige Burg!«
Agnes nickte geistesabwesend, sie beobachtete die vielen Menschen. Erst auf den zweiten Blick fiel ihr auf, dass nur wenige von ihnen kostbares Tuch trugen. Die meisten waren in die arme Kluft der Bauern und niedrigen Handwerker gekleidet, etliche sahen ausgemergelt aus und strichen wie hungrige Hunde um die Stände, während neben ihnen fette, geschminkte Kaufmannsfrauen ihr neuestes Gewand zur Schau trugen. Überhaupt schien der Unterschied zwischen Arm und Reich in der Stadt weitaus größer zu sein als draußen auf dem Land.
Bei uns sind wenigstens alle arm , dachte Agnes. Bis auf den Grafen Scharfeneck natürlich und den Abt vom Eußerthal.
Philipp von Erfenstein deutete auf ein zweistöckiges steinernes Gebäude, das als einziges in der Mitte der breiten Promenade stand. In den schattigen Arkaden darunter gingen reich gekleidete Patrizier ein und aus.
»Die Münze«, erklärte der Burgvogt. »Darin befindet sich das städtische Kaufhaus, wo die Händler ihre Geschäfte machen. Auch Jakob Gutknecht hat dort seine Niederlassung, wir sollten ihm schon bald einen Besuch
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