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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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abstatten.« Er sah seine vom vormittäglichen Regen durchweichte Tochter prüfend an. »Aber zuerst nehmen wir uns ein Zimmer in einem Gasthaus, und du machst dich ein wenig frisch. Du siehst ja aus wie die Tochter eines Pferdehändlers.«
    Sie bogen in eine Seitengasse ein, wo die Häuser längst nicht mehr so prächtig waren wie an der großen Straße. In einer schäbigen Taverne brachten sie ihre Pferde im dazugehörigen Verschlag unter und bezogen ein Zimmer unter dem Dach. Als Erfenstein dem buckelnden Wirt ein paar Münzen in die Hand drückte, musste Agnes daran denken, was ihren Vater diese Reise bereits gekostet hatte. Er hatte für Agnes ein neues Kleid nähen lassen, das er nun oben auf dem Zimmer vorsichtig entfaltete und gegen das Licht hielt. Es war aus rotgefärbtem Tuch aus Flandern, verziert mit Spitzen und Silberknöpfen. Ein Kleidungsstück, wie es allein Adligen und hohen Herrschaften vorbehalten war. Einfache Bürgersfrauen konnten für derlei Zierrat schnell am Pranger landen.
    »Hier, zieh das an und kämm dir die Haare«, befahl Erfenstein barsch. »Dieser Gutknecht soll sehen, dass er mit dir ein echtes Schmuckstück erwirbt.«
    Agnes fuhr herum und funkelte ihren Vater an. Sie hatte eigentlich schweigen wollen, doch nun konnte sie nicht mehr an sich halten.
    »Ich bin keine billige Brosche, die man einfach verscherbelt!«, zischte sie. »Ich bin deine Tochter! Hast du das etwa vergessen? Wenn ich schon irgendeinen Tuchhändlerssohn heiraten soll, dann behandle mich wenigstens wie einen Menschen!«
    Erfenstein seufzte. »Agnes, darüber haben wir doch schon öfter geredet. Es geht nun mal nicht anders. Denk an den Trifels! Außerdem …« Er zwinkerte ihr zu. »Sag bloß, dass dir das Kleid nicht gefällt. Zieh es an, du wirst darin aussehen wie eine Königin.«
    »Wie ein traurige Königin«, erwiderte Agnes trotzig. Trotzdem schlüpfte sie in das Kleid, wobei sie darauf achtete, dass ihr Vater den Ring nicht sah. Womöglich kam er sonst noch auf die Idee, das für sie so wertvolle Schmuckstück in Speyer bei einem Goldschmied zu veräußern.
    Das Kleid passte ihr wie angegossen. Als sie über den Stoff strich, spürte sie, wie weich er war. Wallend fiel er an ihr herab und brachte ihre Brüste und die Hüften gut zur Geltung. Es war das Wertvollste, was sie je getragen hatte.
    »Es ist … schön«, gestand sie schließlich ein und drehte sich im Kreis, während das Nachmittagslicht durch das ­schmale Fenster fiel.
    »Siehst du? Was kann also falsch daran sein, wenn du es trägst, während wir diesen Pfeffersäcken einen Besuch abstatten. Und, Agnes …« Ihr Vater hob warnend den Finger. »Keine Anmaßungen, keine frechen Sprüche, verstanden?«
    »Ich werde still und sittsam sein, wie es sich für eine angehende Patriziergattin gehört. Und nun los, bringen wir es endlich hinter uns.«
    Agnes wandte sich ab und stieg die steile Stiege hinunter in die Wirtsstube, wo sie die wenigen Gäste neidvoll musterten. Auch draußen auf der Straße erntete sie so manchen Blick, vor allem von den Kaufmannsfrauen, die ihr tuschelnd hinterherstarrten. Ihr Vater ging neben ihr wie ein stolzer fetter Kapaun. Einmal mehr merkte Agnes, wie Kleidung den Menschen verändern konnte. Sie fühlte sich nun nicht mehr wie ein junges Mädchen, sondern wie eine Herrin.
    Wie die Herrin vom Trifels , dachte sie und musste zugeben, dass sie die eifersüchtigen Blicke der anderen Frauen tatsächlich mit Stolz erfüllten.
    Schon bald hatten sie die Münze erreicht, an deren Eingang sich mittlerweile eine Traube von Händlern versammelt hatte. Jetzt am frühen Nachmittag war auf dem Markt der größte Betrieb. Unter den schattigen Arkaden wurden Geschäfte vereinbart und Provisionen ausgehandelt. Hier, zwischen all den reichen Patriziern, fiel Agnes’ Kleid nicht weiter auf. Über breite Stufen stiegen Vater und Tochter hinauf zu einem Versammlungssaal im ersten Stock, in dem ärmer gekleidete Menschen zaghaft auf und ab gingen, ihre Hüte kneteten oder sorgenvoll aus dem Fenster schauten. Vor einigen der vom Saal wegführenden Türen standen die Wartenden in Schlangen.
    »Das sind die Großbauern, die Fuhrleute und die freien Handwerker, die mit den Patriziern ihren Lohn aushandeln«, flüsterte Erfenstein seiner Tochter zu. »Die Preise sinken seit Jahren, und die reichen Händler im Rat können sie diktieren, wie’s ihnen beliebt.« Sein Blick wurde düster. »Wir Ritter haben da schon lange nichts mehr zu sagen.

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