Die Burg der Könige
Lippen aufeinander, dann zupfte sie weiter Beeren in die Schüssel. Marie setzte sich neben die Mutter auf die Bank und bettete den kleinen Kopf in ihren Schoß. Erschrocken bemerkte Mathis, wie mager seine Schwester geworden war.
Endlich fasste er sich ein Herz. »Meinst du, ich … ich kann zu ihm?«, fragte er seine Mutter.
Lächelnd blickte Martha Wielenbach von ihrer Arbeit hoch, in ihrem Gesicht zeigten sich kurz die fröhlichen Fältchen, die Mathis an ihr immer so geliebt hatte. »Natürlich«, erwiderte sie erfreut. »Er ist wach, ich habe vorhin noch zu ihm reingeschaut.« Sie zwinkerte ihm zu. »Und wenn er schimpft, dann mach dir nichts draus. Das ist eben seine Art, dir zu zeigen, dass er dich liebt.«
»Ich weiß«, murmelte Mathis. »Es ist nur manchmal schwer, das zu begreifen.«
Vorsichtig ging er hinüber zur Kammertür und öffnete sie. Dahinter lag in einem winzigen, kastenartigen Raum Hans Wielenbach auf einem Bett mit einer Strohmatratze. Mathis zuckte unwillkürlich zusammen, als er das schmächtige Bündel sah, das einmal sein starker Vater gewesen war. Unter der dünnen Decke erinnerte er an eines jener verschrumpelten Zwetschgenmännchen, die Mathis von der Kirmes her kannte. Das Gesicht des einst so zähen Schmieds war eingefallen, Augen und Mund waren viel zu groß, die wenigen bräunlichen Zähne lagen frei. Soeben schüttelte ihn ein weiterer Hustenanfall, der eine Ewigkeit zu dauern schien. Hans Wielenbach spuckte roten Schleim in eine Schüssel neben dem Bett, dann erst bemerkte er seinen Besucher.
»Was willst du?«, fragte er grob. Seine Stimme klang noch erstaunlich laut und fest.
»Ich geh noch heute hinauf zum Burgvogt«, erwiderte Mathis. »Wir wollen den Feldzug gegen Wertingen besprechen. Du hast sicher davon gehört.« Er räusperte sich. »Nun, die Feuerwaffen sind fertig gegossen und geschmiedet, und übermorgen wird es wohl losgehen. Wir müssen nur noch dem Grafen Scharfeneck Bescheid geben, damit er uns wie versprochen seine Landsknechte schickt.«
»Und was geht mich das an?«
»Kannst du dir das nicht denken?«, fragte Mathis leise.
Eine ganze Weile sagte keiner etwas, nur der rasselnde Atem Wielenbachs war zu hören. Endlich ergriff sein Vater das Wort. Er klang dabei seltsam verträumt.
»Als ich ein Kind war, zog ich mit meinen Eltern übers Land«, begann er und starrte dabei hoch zur niedrigen Decke. »Mein Vater war ein fahrender Schmied, ein armer Kesselflicker, der Hufeisen geradebog und mit seiner großen Zange auch manchmal einen Zahn zog.« Ein Lächeln breitete sich über Wielenbachs Gesicht aus. »Eines Tages waren wir in einem kleinen Ort jenseits des Rheins, als plötzlich ein Donnern zu hören war. Ich blickte zum Himmel, doch es war nicht der Himmel, nein, es … es war die Erde, die donnerte! Auf der Landstraße erschienen ein halbes Dutzend Ritter auf ihren Pferden. Sie waren in prächtige Rüstungen gekleidet, an ihrer Seite hingen glänzende Schwerter, und ihre Hengste trugen Visiere aus feinstem dünnem Eisen. In ihren Händen hielten die Ritter bunte Standarten, die von ihrer edlen Herkunft zeugten, sie verkündeten die Ankunft des Kaisers in einer nahen Stadt. Des alten Kaisers …« Hans Wielenbach schloss die Augen, als wollte er das Bild noch einmal heraufbeschwören.
»Sie waren wie ein Spuk, Mathis, wie Erzengel, die auf die Erde gekommen waren, um das Böse zu vernichten. Schon nach kurzer Zeit waren sie wieder im Wald verschwunden. Doch ich schwöre dir, seit diesem Tag wusste ich, dass ich Waffenschmied werden wollte.« Er hustete erneut. »Es war Ritter Philipp von Erfenstein, der mich schließlich aufnahm.«
»Und er kann, weiß Gott, stolz auf dich sein«, warf Mathis leise ein.
Wieder verstrich ein Moment der Stille.
»Warum gibt es das alles nicht mehr?«, sagte Hans Wielenbach mehr zu sich selbst. »Wo sind all die Ritter mit ihren Schwertern, die die Schwachen beschützen? Wo ist der weise Kaiser, der all diesem wilden neuen Treiben Einhalt gebietet?«
»Die Zeiten ändern sich, Vater«, erwiderte Mathis. »Es kommen neue, doch es müssen keine schlechteren Zeiten sein. Im Gegenteil, vielleicht schaffen wir eine gerechtere Welt.«
Hans Wielenbach lachte, doch sein Lachen ging schon bald in eine weitere Hustenattacke über. »Mit diesen stinkenden Waffen etwa?« Seine Stimme war nun eher ein Krächzen. »Früher hat der stärkste Ritter gesiegt, derjenige, der das Kämpfen am längsten und besten gelernt hatte. Der
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