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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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vor den frischen Gräbern stand, die die Landsknechte im Tal nahe dem Dorffriedhof ausgehoben hatten, starrten ihn Frauen und Kinder mit verweinten Augen an. In vielen Familien fehlte nun der Vater und Ernährer, die Ernte war zerstört. Spätestens im nächsten Winter würden die Schwächsten von ihnen den Hungertod sterben. Ein kleiner, dreckverschmierter Säugling schrie lauthals in einem Lumpenbündel, das sich seine Mutter auf den Rücken geschnürt hatte, und Mathis spürte, wie ein Stich durch sein Herz fuhr.
    »Was haben diese Menschen nur verbrochen, dass wir sie so strafen mussten?«, fragte er leise, mehr an sich selbst gerichtet. Er stand in einigem Abstand von den Gräbern und sah zu, wie die Bauernfamilien gemeinsam ein letztes Gebet für ihre Angehörigen sprachen.
    Ulrich Reichhart neben ihm zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Sie haben sich eben mit dem falschen Fronherrn eingelassen.«
    »Aber sie hatten doch keine Wahl!« Mathis schüttelte den Kopf, ohne den Blick von den zerlumpten Gestalten bei den Gräbern zu wenden. Einige von ihnen funkelten zornig zurück. »Sie dürfen ihre Scholle nicht verlassen, so ist das Gesetz! Selbst wenn sie jemanden außerhalb ihres Ortes heiraten wollen, müssen sie erst ihren Fronherrn um Erlaubnis fragen. Sie sind ihm auf ewig verpflichtet, bis in den Tod!«
    »Und doch geht’s ihnen noch besser als denen da drüben«, knurrte Reichhart und deutete mit einem Kopfnicken auf die ausgebrannte Raubritterburg. Auf den Zinnen sah man die Köpfe Wertingens und seiner Burgmannen stecken. Mit Teer eingestrichen würden sie dort oben so lange zur Abschreckung bleiben, bis die Krähen auch das letzte Stück Fleisch herausgepickt hatten.
    »So ist eben der Lauf der Welt«, fuhr Reichhart fort. »Die Bauern arbeiten, die Pfaffen kümmern sich ums Seelenheil, und die Ritter ziehen in den Krieg. So war es schon immer.«
    »So muss es aber nicht bleiben. Auch Bauern können in den Krieg ziehen.«
    Der alte Geschützmeister lachte. »Das lass nur nicht deinen Vater hören! Für den sind Ritter doch immer noch wie Abgesandte des Himmels. Na ja, vielleicht kann er sich dort oben bald selbst ein Urteil …« Er brach ab, als er Mathis’ versteinerte Miene sah. »Tut mir leid«, sagte er und räusperte sich. »Ich wollte nicht …«
    »Ist schon gut. He, halt! Nicht so schnell!«
    Mathis wandte sich abrupt ab und half den Soldaten, die mittlerweile die Wagen beluden und sich zur Abfahrt bereitmachten. Noch immer schmerzte sein verbundenes Bein, doch er achtete nicht weiter darauf. Grimmig zog er an einem der Seile, mit denen soeben die zerstörte Dicke Hedwig auf den Karren gehoben wurde. Eingeschmolzen würde sein Meisterstück wenigstens noch einen satten Batzen Geld abwerfen.
    Mathis bemühte sich, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Arbeit zu richten. Seit Tagen hatte er nicht mehr an seinen kranken Vater gedacht. Nun überkam ihn plötzlich eine unbändige Angst, der Alte könnte in der Zwischenzeit gestorben sein, ohne dass er ihm noch einmal Lebewohl hatte sagen können. Würde er wie die Bauern hier traurig und ratlos am Grab stehen und Worte stammeln, die der andere nicht mehr hören konnte? Die harte Arbeit, das Schieben und Ziehen der störrischen Ochsen, all das lenkte ihn ein wenig ab.
    »Störrisches Biest! Sturschädlig wie meine Tochter!«
    Es war die vor Zorn bebende Stimme Philipp von Erfen­steins, der beim vordersten Wagen eben einen nervösen Ochsen bei den Hörnern packte. Sein Schwertarm war verbunden, und er hinkte ein wenig. Trotzdem hatte er es sich nicht nehmen lassen, selbst mit anzupacken – unter den bösen Blicken von Pater Tristan, der ihn erst vor einigen Stunden das letzte Mal in Augenschein genommen hatte. Kopfschüttelnd näherte sich der Mönch Mathis.
    »Die Wunde kann sich jederzeit entzünden, und er hat viel Blut verloren!«, sagte Pater Tristan barsch. »Mein Fehler ist es nicht, wenn der Burgvogt am Wundbrand stirbt.«
    »Dann wird er es zumindest laut schimpfend tun.«
    Mathis lächelte. Tatsächlich war kaum zu glauben, dass Philipp von Erfenstein erst gestern früh einen Kampf auf Leben und Tod gefochten hatte. Der alte Ritter war blendend gelaunt, das blutige Duell schien trotz der Verletzungen neue Lebensgeister in ihm geweckt zu haben. All die Toten um ihn herum schienen ihn nicht zu berühren. Mathis vermutete, dass der Burgvogt bei früheren Schlachten noch weitaus mehr Leichen gesehen hatte.
    Es dauerte noch zwei Stunden, bis

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