Die Burg der Könige
weiten Weg hinter sich gebracht, nun ging es endlich zurück in den Heimatschlag, wo ihn Futter und ein wärmendes Nest erwarteten.
Dort, wo die Taube herkam, war es heiß und trocken; schroffe Felsen prägten die Landschaft, die Erde war braun und kahl und der Himmel weit wie das Paradies. Doch noch breiteten sich unter ihr unendliche Wälder aus. Die Menschen, die gleich winzigen Insekten der Burg entgegenzogen, wussten nichts von der verschlüsselten Botschaft am Fuß des Vogels, und hätte ihn jemand mit Netzen gefangen oder abgeschossen, wäre ihm der Inhalt der Nachricht sicherlich verborgen geblieben. Sie war in einem Code geschrieben, dessen Schlüssel nur der Überbringer und der Empfänger kannten.
B. A. R. B. A. R. O. S. S. A.
Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, flatterte die Taube unermüdlich Richtung Süden.
***
Agnes stand auf den Zinnen des Trifels und sah schon von weitem, wie der Tross sich den Feldern unterhalb der Burg näherte. Den ganzen Tag wartete sie schon, jetzt, am frühen Abend, war es endlich so weit. Sechs vollgepackte Wagen rumpelten im Schneckentempo den steilen Burgweg hoch, Befehle wurden gerufen, Gelächter schallte bis hinauf zum Palas. Agnes raffte ihr Kleid und rannte die vielen Stufen hinab, den Soldaten entgegen. Als sie endlich unten an den Schlossäckern anlangte, wurden die ersten Beutestücke bereits abgeladen. Graf Scharfeneck dirigierte von seinem Pferd aus einige Bauern, die Truhen und Kisten hinauf zu seiner Burg brachten. Stirnrunzelnd wandte er sich an Agnes, die verschwitzt war und vom Laufen ganz außer Atem.
»Ich hoffe, Euer undamenhaftes Auftreten ist allein der Freude geschuldet, uns wohlbehalten wiederzusehen«, sagte er, während er gleichzeitig die einzelnen Kisten noch einmal durchzählte. »Wie Ihr sicher schon bemerkt habt, waren wir durchaus erfolgreich. Dieser schlaue Hund Wertingen hatte in seiner Burg tatsächlich noch das eine oder andere gehortet. Nur bei seinen Lehnsbauern sah es unglücklicherweise eher mau aus.« Der Graf seufzte, während er eine weitere Kiste passieren ließ. »Nun, was soll’s! Wenn ich den Anteil meiner Landsknechte wegrechne, bleibt immer noch ein anständiger Batzen für mich übrig.« Er zögerte, bevor er lächelnd fortfuhr. »Und auch für Euren Vater. Aber davon muss er natürlich erst seine Schulden beim Herzog zahlen.«
»Also ein einträgliches Geschäft für alle«, entgegnete Agnes kühl. »Besonders für Euch und den Herzog.« Sie sah sich suchend um und fand endlich ihren Vater im Getümmel. Mühsam stieg der alte Vogt vom Pferd, auf seinem blassen Gesicht standen Schweißtropfen; er zitterte am ganzen Leib.
»Vater! Ist alles in Ordnung?« Agnes rannte auf ihn zu, um ihm die Hand zu reichen. »Ich wusste nicht, dass du verletzt …«, begann sie. Doch Erfenstein schob sie mürrisch zur Seite.
»Es … es geht schon«, murmelte er mit schwerer Zunge. »Brauch keine Hilfe.«
»Euer Vater hat nach einem würdigen Zweikampf Hans von Wertingen den Kopf abgeschlagen«, warf der Graf ein. »Ihr könnt stolz auf ihn sein.«
»Stolz, weil er sich unnötig in Gefahr gebracht hat?« Agnes sah besorgt zu ihrem Vater hinüber, der nun von Pater Tristan zur Burg hinaufgeführt wurde. Erfenstein wankte, jeder einzelne Schritt schien ihm Mühe zu bereiten.
»Ich dachte, die Schlacht war schon längst vorbei«, bemerkte Agnes.
»Das war sie auch. Doch Euer Vater entschied sich gestern früh, dem Feldzug einen, nun ja … ritterlichen Schlusspunkt zu geben.« Scharfeneck seufzte und blickte der letzten Kiste nach, die seine Träger nach oben zur Burg brachten. »Ich habe ihn gewarnt, doch er ist nun mal ein sturer Bock. Nun ist Wertingen zwar tot, aber Euer Vater dafür an Arm und Fuß verletzt. Offenbar hat ihn der Wundbrand erwischt.«
»Wundbrand?« Agnes runzelte die Stirn. »Nach nicht einmal zwei Tagen? Das ist kaum möglich. Wie schwer ist denn die Verletzung?«
»Das müsst Ihr Euren greisen Mönch fragen. Der hat sich um den Burgvogt gekümmert. Vielleicht hat sich die Wunde ja beim Verbinden entzündet.«
»Unsinn!«, brauste Agnes auf. »Pater Tristan würde nie …«
»Hört, Jungfer Agnes«, unterbrach sie nun der Graf, seine Stimme klang plötzlich ungewohnt milde, »ich will mich nicht mit Euch streiten. Im Gegenteil. Euer Vater und ich, wir hatten in den letzten Tagen mancherlei Gelegenheit, uns zu unterhalten.« Von seinem Rappen aus blickte Friedrich von Scharfeneck trotz seiner Jugend
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