Die Burg der Könige
zögerlich in der Hand hielt.
»Verflucht, was soll’s«, murmelte er schließlich mit schwerer Zunge. »Ich kann ja auch ein wenig später gehen.«
Er hob den großen irdenen Krug und trank ihn unter fröhlichen Rufen und Klatschen seiner Kameraden bis zur Neige aus. Der Wein war süß und schwer, sehr schwer.
Als er sich schließlich über den Mund wischte und zu dem rothaarigen Mädchen hinübersah, lächelte sie noch immer. Trotz der Schminke kam sie ihm plötzlich geradezu anmutig vor. Die Musik rauschte über ihn hinweg und ließ sein Knie wippen, als hätte der Teufel selbst es berührt.
Mathis beschloss zu tanzen.
Nur einige Gassen weiter saß der Annweiler Stadtvogt Bernwart Gessler in der Schreibstube des Rathauses und versuchte, sich trotz des Lärms auf seine Abrechnungen zu konzentrieren.
Er rieb sich die Schläfen, während Musik und Gelächter durch die geschlossenen Fensterläden an seine geplagten Ohren drangen. Die Bilanz der Gemeindemühle war löchrig wie ein alter Teppich, und einige Bürger glaubten wohl allen Ernstes, für sie gälten die neuen Steuererhöhungen nicht. Nächste Woche würde der Kurier des Herzogs kommen, bis dahin musste alles hieb- und stichfest vermerkt sein. Und diese tumben Toren dort draußen hatten nichts anderes im Sinn, als zu feiern und zu saufen!
Doch nicht nur der Lärm hinderte Gessler daran, die Rechnungen noch einmal durchzugehen, es war auch die Erinnerung an jenen Fremden, der erst gestern noch um weitere Auskünfte gebeten hatte. Ein Schreiben hatte ihn als Vertreter eines Herrscherhauses ausgewiesen, dem es unbedingt zu gehorchen galt. Drei Mal war der Mann nun schon bei ihm gewesen, genau wie der schwarzhäutige Teufel, der sich Caspar nannte. Jedes Mal hatte Gessler die beiden vertrösten können, und noch wusste keiner vom anderen. Doch der Vogt ahnte: Irgendwann würde er das Spiel zu weit treiben. Besonders dieser Caspar schien mit seiner Geduld am Ende. Der Stadtvogt lächelte verstohlen, als er daran dachte, was er erst letzte Woche endlich in den Tiefen des Annweiler Archivs ausgegraben hatte. Er liebte es zu spielen; je höher die Einsätze, umso höher war letztendlich der Gewinn.
Umso höher jedoch auch sein Risiko.
Gessler fröstelte, als er an die merkwürdigen kleinen Feuerrohre dachte, die ihm dieser Caspar das letzte Mal unter die Nase gehalten hatte. Was hatte der schwarze Mann damals zu ihm gesagt?
Ich selbst habe gesehen, wie sich der Kopf eines Verräters in Blut, Knochensplitter und weiße Gehirnmasse aufgelöst hat …
Nun, einen allerletzten Schachzug würde Gessler noch machen, bevor er das Spiel beendete: Es gab nämlich noch einen Dritten, der sich für seinen Fund interessieren könnte. Morgen schon wollte er ihn aufsuchen, dann würde sich zeigen, wer von den drei Männern am meisten zahlte, sei es mit Geld oder mit anderen Gefälligkeiten.
Seufzend schob der Annweiler Stadtvogt die Bilanzen und Rechnungen zur Seite und ging hinüber zu der Wand aus Zirbelholzfurnier, hinter der sich eine geheime Nische befand. Er drückte auf eine der geschnitzten Weinreben, eine Klappe schwang auf, und der Vogt nestelte im Inneren der kleinen Kammer, bis er endlich das zerfledderte Schriftstück gefunden hatte. Ein leises Kribbeln überkam Gessler, als sein Blick wohl zum dutzendsten Mal über die gekrakelten Zeilen flog. Das Papier war auf den 28 . Juni anno 1513 datiert und berichtete von einem Ereignis, das sich damals hier in der Gegend zugetragen hatte. Gesslers Vorgänger, der alte Helmbrecht von Mülheim, hatte es in einer Liste unaufgeklärter Raubüberfälle aufgeführt. Ein Fall von vielen, die Wasgauer Wälder waren gefährlich, und es war nicht das erste Mal, dass eine junge Familie Opfer von Marodeuren und Wegelagerern wurde. Das viele Jahre zurückliegende Ereignis war eigentlich nicht weiter bemerkenswert. Dies wurde es erst, als sich gleich zwei Männer dafür interessierten, die offensichtlich von mächtigen Herrscherhäusern geschickt worden waren. Zusammen mit dem zweiten Fund war die Information vermutlich einen Haufen Gold wert.
Bernwart Gessler lächelte und legte den Zettel vorsichtig zurück in die Nische. Während er die beiden seltsamen Fremden die letzten Wochen hingehalten hatte, hatte er sich selbst auf die Suche gemacht. Er hatte an den richtigen Stellen nachgefragt und in den richtigen Büchern geblättert. Narren waren sie alle beide, diese Fremden, wenn sie glaubten, er würde ihren Handlanger
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