Die Burg der Könige
entgegen. Schimmliges Leder streifte sein Gesicht wie mit Leichenfingern, doch er merkte es kaum.
»Zu Hilfe!«, rief er. »Überfall! Ich bin …«
Der Knall verschluckte seine Schreie, die bleierne Kugel drang durch die Lederhäute und zerschmetterte Gesslers Hinterkopf wie einen mehligen Apfel. Blut und Gehirnmasse spritzten über das gegerbte Leder, und stumm stürzte der Vogt nach vorne, wobei er eines der Gerüste umriss. Schließlich blieb er unter einem Berg schlieriger grüner Kalbshäute liegen.
Ein letztes Zucken lief durch seinen Körper, dann hatte Bernwart Gessler endgültig seinen letzten Zug gemacht.
Blitzschnell tauchte Caspar hinter eines der Gerüste und verharrte dort reglos, während das Rufen der Landsknechte zu ihm herüberdrang. Die Soldaten waren jetzt auf der Brücke, nur wenige Schritte von ihm entfernt, und sie sahen aufmerksam in seine Richtung.
»Verflucht, das war ein Schuss«, stellte einer der Soldaten mit schwerer Zunge fest. »Welcher Narr feuert jetzt in der Nacht mit einer Arkebuse? Die mussten wir doch alle abgeben.«
Ein zweiter Mann, klein und dick wie ein Pulverfass, lachte dröhnend. »Vielleicht war es ja dieser verrückte Bursche mit seinen Feuerrohren. Schießt erst eine Burg zu Klump und jetzt auch noch die ganze Stadt! Mit dem Teufel hat sich der Tausendsassa eingelassen, ich schwör’s euch!«
»Irgendwas ist dort unten«, brummte ein weiterer Landsknecht, der sich nun über die Brüstung der Brücke lehnte, um besser sehen zu können. »Seht ihr die Gerberstangen? Dazwischen hat sich was bewegt. Und da liegt so ein schwarzer Klumpen …«
»Du bist so besoffen, dass du schon Gespenster siehst«, unterbrach ihn der Dicke. »Das sind Lederhäute, mehr nicht.«
»Und der Schrei vorhin?«
»Wenn ich auf jeden gottverdammten Schrei hören würde, käme ich im Krieg nicht weit.« Der Dicke wandte sich ab. »Und nun kommt schon. Im Wirtshaus warten gebratene Tauben und willige Dirnen. Beides lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.«
Nach einigem Zögern folgten ihm beiden anderen. Bald waren sie in der Dunkelheit der Gassen verschwunden.
Caspar trat hinter dem Gerüst hervor und stieß einen Fluch aus in einer Sprache, die diese Stadt noch nie zuvor gehört hatte. Dann ging er hinüber zu dem blutigen Bündel, das noch vor kurzem der Annweiler Vogt gewesen war. Gerne hätte er dem intriganten Aas noch einmal ins Gesicht gespuckt, doch dafür war vom Gesicht einfach zu wenig übrig.
Caspar schalt sich selbst dafür, dass er geschossen hatte. Ein Anfängerfehler! Nun würde er nie erfahren, ob der Vogt nur geblufft oder ob er wirklich gewusst hatte, wen er und seine Kameraden suchten. Auf alle Fälle hatte sich das Schwein auch mit der anderen Seite getroffen, so viel hatte er in der Zwischenzeit herausgefunden. Diese kleine Kanaille von Apotheker hatte ihm von Gesslers wiederholten Treffen mit einem vermummten Fremden berichtet, der ähnliche Fragen gestellt hatte. Ein ordentlicher Batzen Geld war für diese Information geflossen, trotzdem hatte Sperlin ihm nicht sagen können, wer dieser Mann war. Doch die Botschaften, die Caspars Auftraggeber ihm hatte zukommen lassen, ließen ohnehin keinen Zweifel daran, dass auch die andere Seite hinter dem uralten Geheimnis her war.
Uraltes Geheimnis …
Seufzend steckte Caspar die noch immer warme Faustbüchse zurück in seinen Gürtel. Vielleicht war ja alles nichts weiter als ein Lügengespinst, eine über Jahrhunderte gewachsene Geschichte, gewebt aus nichts weiter als Hoffnungen und Erinnerungen.
Vielleicht jagten sie jemanden, den es gar nicht gab.
Mit einem weiteren unaussprechlichen Fluch beugte sich Caspar hinunter zu der Leiche, auf der sich bereits die ersten Fliegen niedergelassen hatten. Sorgfältig begann er, den noch weichen Körper in die Lederhäute einzuwickeln. Er musste den toten Vogt fortschaffen, wenigstens für eine Weile, bis zwischen ihm und dieser Stadt mindestens ein Tagesritt lag. Es waren immer die Fremden, die Absonderlichen, die man zuerst verdächtigte. Besonders dann, wenn das Opfer auf so teuflische Art entstellt war wie Bernwart Gessler. Caspar wusste das – es wäre nicht das erste Mal, dass er wegen seiner schwarzen Haut als Teufel und Dämon galt. Er hatte sich daran gewöhnt.
Ächzend hievte er das nach Verwesung stinkende Bündel auf seine Schulter und sah sich nach einem geeigneten Versteck um. Sein Blick fiel auf eine offen stehende Schuppentür. Caspar lächelte
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