Die Burg der Könige
Erscheinungen, die ich eigentlich nur von etwas anderem her kenne.«
»Und … das wäre?«, fragte Agnes zögerlich.
»Eisenhut.«
» Eisenhut ? « Agnes fasste sich an den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Die blauen Blüten des Eisenhuts waren das stärkste Gift, das die Christenheit kannte. Schon fünf Blütenblätter oder der Extrakt aus ihnen konnten zum Tod führen. Die Pflanze wuchs auch hier in der Gegend, Pater Tristan hatte Agnes schon als Kind davor gewarnt.
»Ihr … Ihr meint, mein Vater ist vergiftet worden? Aber warum? Und von wem?«
Pater Tristan beugte sich nun ganz nah zu ihr, unter ihnen gähnte der felsige Abgrund. »Bei unserer Abreise heute Vormittag ging es ihm noch gut«, flüsterte er. »Doch als der Tross kurz vor Annweiler war, machten wir eine Rast. Ich sah, wie dein Vater mit Graf Scharfeneck Wein trank. Sie schienen auf irgendetwas anzustoßen.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause.
»Graf Scharfeneck soll meinen Vater vergiftet haben?« Agnes starrte ihn entsetzt an. »O Gott! Aber … aber warum denn?«
Pater Tristan zuckte mit den Schultern. »Warum, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass dieses merkwürdige Fieber erst nach der Rast einsetzte. Seitdem wird es stündlich schlimmer.«
Die Nachricht war so schrecklich, dass Agnes nicht einmal weinen konnte. Sie saß nur da und starrte ins Leere. Sollte ihr Vater wirklich mit Eisenhut vergiftet worden sein, gab es für ihn keine Aussicht auf Heilung. Das Gift würde ihn mehr und mehr lähmen, bis schließlich sein Atem aussetzte. Ganz fest hielt sie Pater Tristans kalte Hände, ihr Gesicht war kalkweiß.
»Bitte, Pater!«, schluchzte sie. »Gott kann das nicht wollen! Warum lässt er so was zu?«
»Gott lässt auch viele andere schlimme Dinge zu. Wir werden ihn nie verstehen. Aber vielleicht täusche ich mich ja, und es ist doch nur das Wundfieber.«
Agnes sah ihn hoffnungsvoll an, doch als sie seinen ausdruckslosen Blick bemerkte, wusste sie, dass Pater Tristan sie nur trösten wollte.
Sanft strich er ihr das widerspenstige Haar aus dem Gesicht. »Er hat nach dir gefragt«, sagte er leise. »Du sollst zu ihm gehen, jetzt. Es schien ihm sehr wichtig zu sein.«
Agnes nickte mit schmalen Lippen. Dann straffte sie sich, stand auf und ging aufrechten Hauptes hinüber zum Palas, in das Zimmer ihres todkranken Vaters.
***
Mathis hörte das Singen und Lachen, lange bevor das Wirtshaus vor ihm auftauchte.
Die Sonne war mittlerweile untergegangen, und üblicherweise kehrte damit langsam Stille in Annweiler ein. Doch an diesem Abend war alles anders. Nach Absprache mit dem Stadtrat hatten die Wachen die Tore geöffnet und die Landsknechte in die Stadt gelassen. Offiziell sprach man von einer Dankesfeier dafür, dass die Soldaten den Schwarzen Hans unschädlich gemacht hatten – doch unter der Hand wurde gemunkelt, der Stadtvogt habe nur Angst gehabt, die Landsknechte könnten sonst aus Zorn die umliegenden Weiler plündern. Also ließ man sie lieber innerhalb der Mauern ihr Mütchen kühlen. Ihre Waffen, auch das Schießpulver und die Arkebusen, mussten die Soldaten allerdings am Stadttor abgeben.
»Wir gehen zum ›Grünen Baum‹, da ist heute am meisten los!«, rief Gunther und zog den zögerlichen Mathis mit sich durch die belebten, von einzelnen Fackeln und Laternen erhellten Straßen. Der junge Schmied trug noch immer Verbände an Hals und Bein, außerdem hatte er sich eine wollene Gugel über den Kopf gestülpt, die sein Gesicht verbarg.
»Nun, komm schon, du Hasenfuß!«, befahl Gunther. »So wie du aussiehst, erkennt dich ohnehin keiner. Die anderen warten schon!«
In vielen Fenstern brannte noch Licht, einige der Gerber standen mit einem Humpen Bier auf der Gasse und prosteten ihnen begeistert zu; das Gelächter und die Musik erklangen nun immer näher.
Tatsächlich hatte sich vor dem »Grünen Baum« bereits eine Traube Menschen gebildet, die lautstark Einlass begehrte. Der Wirt Diethelm Seebach schenkte draußen unter der nun im Sommer grün belaubten Linde Wein aus, von drinnen ertönten das Krächzen einer Fiedel und das Stampfen vieler tanzender Füße. Die Bauern der Gegend hatten den Annweilern bereits vor einigen Stunden vom Tod Wertingens berichtet, und seitdem wurde gefeiert. Viele der Gäste hatten mittlerweile sichtlich Mühe, aufrecht zu gehen.
»Oho, wenn das nicht unser Mathis ist, der Held von Ramberg!«
Mathis zuckte zusammen, als Diethelm Seebach sich ihm mit ausgebreiteten Armen
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