Die Burg der Könige
Laune, und die Nachricht vom Überfall auf seine Tochter brachte das Fass zum Überlaufen. Agnes hatte sich entschieden, ihm nichts von dem Kampf und dem Toten zu erzählen, auch um ihren Vater nicht noch mehr zu beunruhigen.
»Hätt’ ich denn nicht nach Parcival suchen sollen?«, brach es aus ihr heraus. »Du weißt, was mir der Falke bedeutet, Vater! Wir können nur froh sein, dass Mathis zufällig in der Nähe war. Er … er hat die vier Räuber abgelenkt, so dass wir fliehen konnten.«
»Er hat sie abgelenkt?« Mit seinem verbliebenen Auge musterte ihr Vater sie misstrauisch. »Wie denn? Doch nicht etwa mit einem seiner stinkenden Feuertöpfe? Als ich unten bei den Bauern war, hab ich zweimal ein lautes Donnern gehört. Da hatte nicht zufällig dein Mathis die Finger im Spiel, hä?« Er drohte erneut mit dem Finger, während seine Stimme noch eine Spur lauter wurde. »Ich hab dem Burschen schon ein Dutzend Mal verboten, mit diesem Teufelszeug zu hantieren! Er soll Schwerter schmieden und nicht mit diesen unritterlichen Waffen herumpfuschen.«
»Er … er hat die Räuber mit Steinen beworfen und ist dann weggelaufen.« Agnes gab sich alle Mühe, ihrem Vater nicht in die Augen zu sehen. »Das Donnern haben wir allerdings auch gehört. Wird wohl auf einer der benachbarten Burgen gewesen sein«, murmelte sie noch. Inständig hoffte sie, dass es der Burgvogt dabei bewenden ließ.
Nach kurzem Zögern schluckte ihr Vater die Ausrede. »Nun gut«, brummte er. »Ich werde dem Mathis bei Gelegenheit meinen Dank aussprechen. Das ändert aber nichts daran, dass der Bursche die Hände vom Schießpulver lassen soll.«
Während ihr Vater weiter lamentierte, musste Agnes immer wieder an den toten Puck und an ihren Falken denken. Puck war ein reizender Spielgefährte gewesen, aber Parcival war das Liebste, was sie besaß. Monatelang hatte sie den zunächst so scheuen Vogel geatzt und abgetragen, hatte ihn mit dem Federspiel auf Krähen und andere Vögel abgerichtet. Die Vorstellung, dass der kleine Sakerfalke für immer davongeflogen sein könnte, verursachte ihr einen dicken Kloß im Hals.
»… und überhaupt ist dieser Kerl kein Umgang für dich«, hörte sie ihren Vater nun sagen, während er sich aus einem Zinnkrug einen Becher Wein einschenkte. »Diesmal mag der Mathis dich ja gerettet haben, aber ansonsten ist er ein rechter Störenfried. Treibt sich immer mit dem Schäfer-Jockel herum, diesem aufrührerischen Gesellen. Was denkt er sich dabei? Gott hat jeden an seinen Platz gestellt! Wo kommen wir denn hin, wenn jeder das tut, was ihm beliebt?« Er trank in tiefen Zügen und stellte den Becher krachend auf den Kaminsims. »So was hat es unter dem alten Kaiser nicht gegeben, da hat man solche Burschen schleunigst aufgehängt. Ohne langes Fackeln!«
»Die Zeiten haben sich geändert, Vater«, erwiderte Agnes und hielt ihre Hände ans Kaminfeuer. Obwohl die Scheite knackten und knisterten, verbreiteten sie in dem großen Saal keine rechte Wärme. »Mathis sagt, den Bauern geht es immer schlechter. Ihre Kinder hungern, die Abgaben werden mehr und mehr, und sie dürfen nicht einmal jagen und fischen. Erst heute Morgen hat der Annweiler Stadtvogt wieder ein paar Wilderer hängen lassen, darunter auch einen jungen Burschen, nicht älter als Mathis. Der Adel und die Kirche nehmen sich einen immer größeren Batzen …«
»Die Kirche nimmt, was man ihr gibt!«, unterbrach sie Erfenstein ruppig. »Was müssen die bäurischen Einfaltspinsel auch auf diese Ablassbriefe hereinfallen! Geben den Pfaffen Geld, damit ihnen die Sünden erlassen werden, und die ihrer Ahnen gleich mit, pah!« Er schüttelte zornig den Kopf. »Der Luther hat schon recht gehabt, als er derlei Unsinn anprangerte. Aber dass er damit auch die Bauern aufwiegelt, dafür gehört ihm gehörig der Kopf gewaschen!« Er warf zornig ein weiteres Scheit ins Feuer, bevor er in seiner Rede fortfuhr: »Und wer denkt eigentlich an uns Ritter? Es ist eine Schande, wie der hohe Adel mit uns umspringt! Ja, früher unter Kaiser Maximilian, Gott hab ihn selig, da haben unser Urteil und unsere Kampfkraft noch etwas gegolten. Aber unter seinem Enkel Karl, da geht es doch nur noch ums Geld! Ums Geld und um Landsknechte, die wir den hohen Herrschaften auch noch bezahlen sollen. Wenn ich nur daran denke, wie ich mit seiner Kaiserlichen Hoheit damals bei Guinegate …«
Agnes schwieg und ließ die Tiraden ihres Vaters wie einen sanften Sommerregen über sich ergehen. Auch
Weitere Kostenlose Bücher