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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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zu vergessen.
    Aber der Donner der Arkebuse dröhnte ihr noch immer in den Ohren.
    ***
    Einige Meilen entfernt zog hoch oben zwischen bleichen Wolkenfetzen ein Falke seine Bahn. Seine Flügel schlugen matt, eine der Schwanzfedern war gebrochen, schon bald würde er notgedrungen landen müssen. Doch dort unten lauerte noch immer die ohrenbetäubende Gefahr, der mächtige, mark­erschütternde Donner, der den kleinen Raubvogel so verschreckt hatte, dass er nun weitab vom Kurs flog, irgendwo in einer Gegend, die ihm nicht vertraut war. Weder hörte er die gurrenden Laute seiner Herrin, noch sah er das flirrende Federspiel, mit dem sie ihn sonst immer lockte.
    Er war allein.
    Als sein Flügelschlag bereits schwächer wurde, ließ sich der Falke in weiten Kreisen tiefer und tiefer hinabgleiten. Zwischen den vielen grünen, braunen und weißen Punkten unter ihm hatten seine scharfen Augen im Wald ein kastenförmiges Gebilde wahrgenommen, das ihn entfernt an sein Zuhause erinnerte. Er hielt darauf zu und landete schon bald darauf auf dem Sims eines geöffneten Fensters. Der Falke flatterte, er schrie nach seiner Herrin, er krächzte und lahnte, wie er das seit seiner Kindheit gelernt hatte, und endlich streckten sich ihm hilfreiche Hände entgegen. Doch es war nicht das weiche, vertraute Leder des Handschuhs, der ihn sonst immer aufnahm.
    Es waren andere Hände, die ihn fest am Federkleid packten.
    »Dich kenn ich doch«, sagte eine erstaunte Stimme. »Wer schickt dich zu mir? Der Teufel oder Gott?«
    Etwas stülpte sich über seinen Kopf, und die Dunkelheit vor den Augen ließ den Falken augenblicklich erstarren. Er hörte auf zu flattern.
    Dann zogen ihn die Hände hinein in eine knisternde, angenehme Wärme.
    Das Spiel hatte begonnen.

KAPITEL 2
    Auf dem Trifels, 21. März, Anno Domini 1524,
    am frühen Abend
    ie kann es dieser Saukerl wagen, meine Tochter anzulangen? Ausweiden lass ich den Burschen! Ausweiden und rädern!«
    Philipp Schlüchterer von Erfenstein war von seinem Schemel aufgesprungen und marschierte mit hochrotem Kopf vor dem Kaminfeuer auf und ab, die schwarze, mit Fuchsfell besetzte Schaube wogte hinter ihm her. Müde sahen seine beiden Jagdhunde von ihrem Nickerchen auf, bevor sie die Köpfe wieder auf den warmen Eberpelz nahe dem Feuer legten. Sie kannten die Wutausbrüche ihres Herrn und wussten, dass sie vorübergingen wie ein kurzes Sommergewitter.
    »Wertingen war schon als junger Bursche eine Missgeburt!«, fuhr Erfenstein schnaufend fort. »Hat sich auf den Turnieren äußerst unritterlich verhalten und im Zweikampf auch gerne mal ein Bein gestellt. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was der mit dir angestellt hätte!« Der große Mann schüttelte den Kopf, und für einen kurzen Augenblick konnte Agnes echte Angst im Gesicht ihres Vaters erkennen. Sein einst schwarzes Haar war mittlerweile mit grauen Strähnen durchzogen, nicht zuletzt durch Kummer und Sorgen. Vor langer Zeit hatte der Ritter in einer Schlacht das linke Auge verloren, eine Augenklappe verdeckte seitdem die vernarbte Höhle. Dies und ein Schmiss auf der linken Wange ließen ihn grimmiger aussehen, als er eigentlich war. Seit dem allzu frühen Tod seiner Gemahlin behütete Philipp von Erfenstein sein einziges Kind wie eine Glucke – wobei es zum Glück genug Verstecke auf dem Trifels gab, wo Agnes sich vor dem schimpfenden Vater verstecken konnte. Seitdem sie zu einer jungen Frau herangewachsen war, hatte sein Beschützerinstinkt beinahe noch zugenommen. Wie viele Männer, die noch im fortgeschrittenen Alter Vater geworden waren, sorgte er sich um seine Tochter ganz besonders.
    »Du hast mir noch immer nicht die Frage beantwortet, was du in diesem Waldstück verloren hattest.« Mit drohend gehobenem Zeigefinger wandte sich der breite, stämmige Hüne nun an seine Tochter. »Da treibt sich allerhand Gelichter herum, das weißt du doch!«
    Agnes hielt den Blick gesenkt und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Seit gut einer halben Stunde redete ihr Vater nun bereits im Burgsaal auf sie ein. Draußen begann es zu dämmern, lange Schatten lagen in dem großen Raum, dessen hohe Decke von einer Reihe verwitterter Säulen getragen wurde. An den Wänden hingen löchrige Gobelins und ausgebleichte Teppiche, die ihre einst so prunkvollen Motive nur noch erahnen ließen.
    Philipp von Erfenstein war den ganzen Tag unten bei den Katen und Bauernhäusern gewesen, um die kärgliche Pacht einzutreiben. Dementsprechend schlecht war seine

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