Die Burg der Könige
dass ihm das Gebälk nicht auf den Kopf fällt. Die ganze Welt ist aus den Fugen, nicht nur die der Bauern!«
Martin von Heidelsheim räusperte sich. »Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, werter Vogt? Drüben in der Rüstkammer befindet sich meines Wissens noch das eine oder andere Geschütz, das man einschmelzen könnte. Bronze und Eisen sind wertvoll, vor allem in diesen unruhigen Zeiten. Vielleicht lässt sich damit ja ein guter Preis erzielen.«
»Die … die Waffen einschmelzen?« Erfenstein sah seinen Kämmerer einen Moment lang entgeistert an. »Ist es schon so weit gekommen?« Dann nickte er zögernd. »Aber Ihr mögt recht haben, Heidelsheim. Ich habe ohnehin nicht mehr genug Männer, um diese Burg anständig zu verteidigen. Und vielleicht lassen sich von dem eingenommenen Geld wenigstens Holz und Ziegel für die verfallene Vorburg kaufen.« Er wandte sich zur Tür, durch die man hinüber in den Wohnturm gelangte. »Wartet hier noch einen Augenblick. Ich werde das auf der Stelle mit dem Geschützmeister besprechen. Er soll gleich in den nächsten Tagen mit Euch den Bestand durchgehen.«
Agnes erstarrte. Wenn der alte Reichhart zusammen mit dem Verwalter die Rüstkammer inspizierte, wurde Mathis’ Diebstahl sicher bemerkt! Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihren Vater von der Idee abbringen konnte, doch dieser war bereits verschwunden. Stattdessen starrte Martin von Heidelsheim sie unverwandt an. Eine Zeitlang war nur das Knistern der Scheite im Kamin zu hören.
»Es ist gut, dass wir zwei mal einen Augenblick alleine sind«, sagte der Kämmerer nach einer Weile mit schmeichelnder Stimme. »Überhaupt sollten wir uns viel mehr miteinander unterhalten, findet Ihr nicht?«
Verschmitzt lächelnd kam er näher und nahm neben Agnes auf dem Schemel ihres Vaters Platz. Unwillkürlich rückte sie ein Stück zur Seite. Heidelsheim roch wie so oft nach verkochten Zwiebeln und dem Muff seiner Schreibstube.
»Wir … wir kennen uns nun schon so lange«, fuhr er stockend fort und fuhr sich mit der Zunge über die schmalen Lippen. »Ich weiß noch, wie Ihr ein kleines Mädchen wart und bei mir immer um etwas Süßes gebettelt habt. Erinnert Ihr Euch?«
Agnes nickte schweigend. Tatsächlich war sie früher gelegentlich zu Heidelsheim gekommen, weil sie wusste, dass er in seiner Truhe klebrig-süßes Quittenbrot aufbewahrte. Der Kämmerer hatte ihr bei diesen Gelegenheiten immer über den Kopf und manchmal auch den Po gestreichelt. Schon damals hatten sie sein Körpergeruch und seine schmierige Art angewidert.
Augenzwinkernd fuhr Heidelsheim fort. »Nun, Ihr seid seitdem älter geworden, reifer, und Euer Vater hat mir gegenüber bereits öfter … äh, Andeutungen gemacht.«
»Was für Andeutungen?« Agnes richtete sich steif auf. »Erklärt Euch gefälligst, Heidelsheim!« Sie spürte, wie ihr Ekel vor dem Kämmerer sich von Sekunde zu Sekunde verstärkte. Trotzdem versuchte sie, Haltung zu bewahren.
Martin von Heidelsheim rückte mit dem Schemel ein Stück zu ihr und legte ihr vertraulich die Hand auf die Knie. Seine Finger krabbelten wie kleine Spinnen hinauf zu ihrem Schoß. »Bedenkt, Ihr seid sechzehn, Agnes, beinahe siebzehn. Andere in Eurem Alter sind längst verheiratet. Auch Ihr solltet schleunigst nach einem … äh … stattlichen Mann Ausschau halten. Ich habe da einiges vorzuweisen …« Er grinste anzüglich.
Mit einem Satz sprang Agnes auf, alle Befürchtungen wegen der Rüstkammer und der gestohlenen Arkebuse waren mit einem Mal vergessen. Konnte es wirklich sein, dass ihr Vater sie hinter ihrem Rücken an Heidelsheim verschachern wollte? Sie wusste, dass er schon seit längerem nach einem Bräutigam für sie Ausschau hielt. Bislang hatte sie sein Bemühen schweigend geduldet, auch weil sie wusste, dass sie sich einer Heirat nicht mehr lange widersetzen konnte. Ihr Vater hoffte auf einen würdigen und vor allem vermögenden Nachfolger für sein Lehen, aber damit konnte er unmöglich Heidelsheim gemeint haben. Oder etwa doch?
»Ich glaube, Ihr vergreift Euch im Ton, Kämmerer«, zischte sie. »Nur weil Ihr mir als kleines Mädchen übers Haar streichen durftet, heißt das noch lange nicht, dass ich Euch jetzt auf den Schoß springe.«
Während sich Agnes nach außen hin kühl gab, rasten die Gedanken durch ihren Kopf. Noch immer konnte sie kaum glauben, dass ihr Heidelsheim soeben einen Antrag gemacht hatte, vermutlich sogar mit dem Einverständnis ihres Vaters. Die ganze Situation war so
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