Die Burg der Könige
wenn sie ihn von ganzem Herzen liebte, so fiel es ihr doch schwer, seine melancholischen Stimmungsschwankungen zu ertragen. Seitdem Kaiser Maximilian vor einigen Jahren gestorben war, sah Philipp von Erfenstein das Reich immer mehr vor die Hunde gehen. Die deutschen Kurfürsten hatten sich nach zähem Ringen für Maximilians Enkel Karl entschieden, der ein Sohn des spanischen Königs Philipp war. Mit Spanien zusammen war das Heilige Römische Reich nun das größte in Europa, auch wenn es von einem Kaiser regiert wurde, der jenseits der Pyrenäen saß und keinen einzigen Brocken Deutsch sprach.
Das Quietschen einer Tür ließ Philipp von Erfenstein in seinem Monolog innehalten. Der Kämmerer Martin von Heidelsheim steckte den Kopf herein.
Wie so oft trug der eher zierliche Mann ein breites Lächeln im Gesicht, das so gar nicht zu seinen kalten Augen passen wollte. Als Verwalter auf dem Trifels war Heidelsheim seit nunmehr über zehn Jahren für die Geldangelegenheiten zuständig. Doch der blasse, immer etwas gebückt gehende Schreiberling fand offenbar, dass dieses Amt mittlerweile unter seiner Würde war. Oft stierte Heidelsheim in seiner kleinen Schreibstube drüben im Ritterhaus nur gelangweilt aus dem Fenster und sprach dem Wein zu. Obwohl erst Mitte dreißig, machte er einen abgelebten, beinahe verwelkten Eindruck. Nur wenn ihm Agnes über den Weg lief, schien er ein wenig aufzublühen.
»Verzeiht die Störung, Herr«, säuselte Heidelsheim, während er die Augen nicht von Agnes wandte. »Aber die Liste mit den jährlichen Pachteinnahmen, die Ihr mir gegeben habt …«
»Was ist damit?«, brummte Erfenstein. Als er den Blick seines Kämmerers bemerkte, machte er eine ungeduldige Geste. »Sprecht ruhig weiter, Heidelsheim. Meine Tochter ist mittlerweile alt genug, um in die Geldgeschäfte eingeweiht zu werden. Schließlich wird sie eines Tages hier die Frau des Vogts sein, nicht wahr?« Er zwinkerte Martin von Heidelsheim zu, der sich daraufhin geräuschvoll räusperte.
»Nun, wie gesagt, die Liste …«, fuhr der Kämmerer nach einer Weile fort. »Sie scheint unvollständig zu sein. Es fehlen der Neuenecker Hof und das Haus unten an den Schlossäckern. Außerdem ist die Maut für den Bindersbacher Pass diesmal äußerst gering.«
Erfenstein seufzte und rieb sich das unrasierte Kinn. »Die Bauern haben nichts mehr, was sie geben können«, murrte er. »Der letzte Winter war der härteste seit Menschengedenken. Die armen Teufel haben sogar ihr eigenes Saatgut aufgefressen, nicht wenige ihrer Kinder sind am Verhungern. Und seit dieser verfluchte Wertingen auch noch den Pass unsicher macht, suchen die Händler oft andere Wege. Da gibt die Maut nicht viel her.«
Wie in stillem Tadel zog Heidelsheim die Augenbrauen hoch. »Ich muss Euch nicht daran erinnern, dass der Herzog trotz allem seinen Anteil fordert. Die Herrschaften werden nicht erfreut sein, wenn …«
»Verflucht, woher soll ich das Geld denn nehmen, wenn es nicht da ist!«, unterbrach ihn Erfenstein wütend. »Soll ich etwa wie Hans von Wertingen unter die Raubritter gehen, hä?«
Martin von Heidelsheim schwieg. Er ließ seinen Blick weiter über Agnes wandern, bis er schließlich auf ihrem Dekolleté liegen blieb. Im letzten Jahr war ihr Busen beträchtlich gewachsen, und Heidelsheim schien sich an dem Anblick zu weiden. Peinlich berührt wandte Agnes sich ab und tat so, als würde sie sich weiter am Feuer wärmen.
»Ich … ich werde mit dem herzoglichen Verwalter auf Neukastell reden«, brummte Erfenstein schließlich. »Er soll einen Aufschub ermöglichen. Die anderen Rittergüter der Gegend dürften ähnliche Schwierigkeiten haben. Überall murren die Bauern. Wir können froh sein, wenn es keinen Aufstand gibt wie vor ein paar Jahren in Württemberg.«
»Nun, die Löwenstein-Scharfenecks haben, wie man hört, dem Herzog dieses Jahr sogar ein Geschenk gemacht.« Heidelsheim lächelte schmal. »Eine dieser Taschenuhren, die man neuerdings in Nürnberg herstellt.«
»Bah, jeder weiß, dass die Scharfenecks über drei Ecken mit der kurfürstlichen Familie verwandt sind. Die brauchen kein Geld von ihren Bauern, die fahren mit dem Karren vor den Hof in Heidelberg und laden dort das Gold säckeweise ein.« Erfenstein lachte verzweifelt und starrte aus dem Fenster hinaus in die milchige Hügellandschaft, wo die Sonne langsam im Westen versank. »Erst letztes Jahr haben diese Herrschaften ihre Burg ausbauen lassen, und unsereins muss zusehen,
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