Die Burg der Könige
geschlagen hatte. »Wie auch immer – die dicke Beule kann ich meinem Vater wohl schwer verschweigen. Und nach Puck und Parcival wird er auch fragen. Ich werd ihm also wohl oder übel von dem Überfall berichten müssen. Und das, wo er doch ohnehin zurzeit so viel Sorgen hat, weil die Bauern ihren Zins nicht mehr zahlen können.« Sie wischte Mathis fürsorglich die letzten Rußspuren aus dem Gesicht. »Die Arkebuse und dein komisches Experiment lassen wir wohl wirklich besser weg, sonst geschieht noch ein Unglück. Du weißt selbst, mein Vater kann genauso leicht explodieren wie dein vermaledeites Schießpulver.« Agnes zwinkerte ihm verschwörerisch zu, als sie endlich die schmale Trasse hinauf zum Burgeingang erreichten. Wie so oft stand das mit Eisen verstärkte Holzgatter weit offen. In einer kleinen Nische zur Rechten döste der alte Büttel Gunther, sein Lederwams fleckig vom mittäglichen Dünnbier. Die leicht verbogene Hellebarde lehnte wie ein Besenstiel neben ihm an der Wand. Zusammen mit dem versoffenen Geschützmeister Reichhart und zwei weiteren Wachen stellte der grauhaarige Gunther mittlerweile die einzige Besatzung der Burg dar. Als er die Tochter des Burgvogts kommen hörte, schreckte er auf.
»Gott zum Gruß, Herrin! Na, wohl kein Glück bei der Beizjagd gehabt?« Der Wachmann kaute grinsend an einem selbstgeschnitzten Zahnstocher, doch dann musterte er Agnes besorgt. »Wo ist denn Euer Falke? Und warum glotzt der Mathis so düster, als wären ihm gleich ein Dutzend Läuse über die Leber gelaufen?«
Agnes schüttelte mit schmalen Lippen den Kopf. »Es … es ist nichts, Gunther.« Flüsternd wandte sie sich an Mathis. »Es ist vielleicht besser, wenn ich alleine zu meinem Vater gehe. Sonst denkt er wieder, du hättest mich in irgendwas hineingezogen.«
Mathis nickte, dann fragte er leise: »Und die Arkebuse?«
»Verlass dich auf mich. Er wird nichts erfahren.«
Noch einmal drückte Agnes ihm kurz die Hand, dann betrat sie unter Gunthers argwöhnischen Blicken den unteren Burghof, der wie so oft völlig verlassen dalag. Nur ein paar Gänse liefen schnatternd über das mit Kot und Mist besprenkelte uralte Pflaster, ansonsten herrschte eine fast gespenstische Ruhe. Der Wohnturm und der angrenzende Palas aus rötlichen Buckelquadern ragten über dreißig Schritt in die Höhe und überschatteten den Hof; zur Linken lag das sogenannte Ritterhaus, ein einstmals prächtiges Fachwerkhaus, das nun schief und mit löchrigem Dach direkt am Abgrund stand. Dahinter schlossen sich ein paar verfallene Schuppen und Wirtschaftsgebäude an.
Schweren Herzens stieg Agnes die ausgetretenen Stufen hinauf zum oberen kleinen Burghof und schlich sich in die zugige, verrußte Küche, während sie über ihr weiteres Vorgehen grübelte. So in Gedanken versunken war sie, dass sie die Köchin Hedwig erst bemerkte, als sie direkt vor ihr stand. Die füllige Alte rührte gerade in einem Topf Erbsensuppe. Besorgt sah Hedwig unter ihrer Haube hervor und hielt mit dem Rühren inne.
»Kind, was hast du?«, fragte sie mitleidig. »Du siehst ja aus wie ein Gespenst.« Agnes kannte Hedwig schon seit ihrer Geburt, deshalb machte es ihr auch nichts aus, dass die Köchin sie manchmal noch wie ein kleines Mädchen behandelte.
»Ich bin nur müde«, entgegnete Agnes mit brüchiger Stimme.
»Dann nimm dir ein paar Löffel Erbsensuppe. Die wird dir sicher …«
»Meine Güte, warum kann denn keiner in dieser Burg begreifen, dass ich einfach nur meine Ruhe möchte!«, zischte die Vogtstochter unvermittelt. »Ist denn das so schwer?« Im gleichen Augenblick tat ihr die rüde Äußerung schon wieder leid.
Erstaunt ließ die Köchin die Schüssel sinken, die sie Agnes soeben reichen wollte. »Ist ja gut, ist ja gut«, murrte sie. »Ich wollte doch nur helfen. Vielleicht legst du dich wirklich ein wenig hin. Du bist ja ganz aus dem Häuschen.« Sie lächelte verschmitzt. »Das kommt eben, wenn man eine Frau wird. Das Blut gerät in Wallung, man wird hitzköpfig. Hast du dich etwa mit dem Mathis …?«
Als sie Agnes’ strafenden Blick sah, brach sie ab und fuhr fort, in ihrem Topf zu rühren. Doch Agnes vermeinte auf dem Gesicht der alten Köchin nach wie vor ein leichtes Lächeln zu sehen.
Ohne ein weiteres Wort und mit klopfendem Herzen erklomm Agnes die steile steinerne Wendeltreppe, bis sie endlich in ihrer Kammer im zweiten Geschoss des Palas war. Müde ließ sie sich auf ihr Bett fallen, schloss die Augen und versuchte den Tag
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