Die Burg der Könige
fuhr er beschwörend fort. »Es gibt alte Quellen, die das belegen. Schon als kleiner Bub träumte ich davon, ihn zu heben. Vor einem Vierteljahr haben wir dann endlich mit der Suche begonnen!«
Agnes runzelte die Stirn. Vor einem Vierteljahr?
Plötzlich fielen ihr die Männer im Wald ein, die sie damals mit Mathis gesehen hatte, kurz nachdem sie ihren Falken wiedergefunden hatte. Sie hatten beide Wertingens Schergen verdächtigt. Doch es war der Graf mit seinen Landsknechten gewesen, der nach dem Schatz gesucht hatte! Plötzlich ergab alles einen Sinn.
»Deshalb habt Ihr auch Scharfenberg erworben, nicht wahr?«, sagte sie leise. »Nicht weil Ihr unbedingt in die Burg Eurer Ahnen ziehen wolltet, sondern weil Ihr einen Stützpunkt in der Gegend brauchtet. Ihr habt hier gegraben! Mathis und ich haben Lichter im Wald gesehen. Wir dachten schon an die alte Barbarossa-Sage, aber das wart Ihr!«
Scharfeneck zuckte mit den Schultern. »Die Barbarossa-Sage war tatsächlich nützlich, sie hat uns die furchtsamen einfachen Leute vom Leib gehalten. Trotzdem sickert leider immer etwas durch. Es gab einen kleinen …«, er zögerte, »nun ja, nennen wir es einen Zwischenfall. Spätestens da wusste ich, dass ich Burg Scharfenberg unbedingt kaufen musste, um mir weitere neugierige Gaffer vom Leib zu halten.« Er lächelte sie an. »Der Trifels war ja leider noch nicht zu haben.«
Angewidert wandte sich Agnes ab und sah erneut durch das Fenster, von wo aus der untere Hof, die Ställe, Schuppen, der Kräutergarten, der Friedhof und der Brunnenturm zu sehen waren. All das würde nun bald dem Grafen gehören, und sie würde nichts weiter als die hübsche Zierde an seiner Seite sein. Aber hatte sie eine Wahl?
Plötzlich blieb ihr Blick an einem Detail draußen hängen. Es waren die Grabsteine auf dem Burgfriedhof. Einer von ihnen leuchtete in der Morgensonne noch weiß und frisch, nur einige rote Mohnblumen blühten auf dem erdigen Grab. Es war der Stein des ehemaligen Trifelser Verwalters Martin von Heidelsheim. Zwei zerzauste Krähen kauerten auf dem Grab des Ermordeten.
Agnes erinnerte sich an den grausigen Fund der Leiche und daran, wie Heidelsheim umgebracht worden war. Die kostbaren, mit Adlerfedern bestückten Armbrustbolzen waren so tief in den Verwalter eingedrungen, dass der Mörder ganz nah vor ihm gestanden haben musste. Heidelsheim hatte den Täter also gekannt – oder er war davon ausgegangen, dass von ihm keine Gefahr ausging.
Agnes’ Blick ging ins Leere. Was hatte der Graf eben über die Grabungen gesagt?
Es gab einen kleinen … nun ja, nennen wir es einen Zwischenfall.
Die beiden Krähen flogen krächzend vom Grabstein auf.
»Was für ein Glück, dass mich mein Vater nicht mit unserem Verwalter Martin von Heidelsheim verheiratet hat«, sagte Agnes ruhig und starrte weiter aus dem Fenster. »Sonst wärt Ihr am Ende leer ausgegangen. Ihr erinnert Euch sicher an ihn?«
»Dieser treulose Bursche, der einfach auf und davon ist?«
»Das stimmt nicht ganz. Man hat ihn schließlich gefunden, verscharrt in einer Grube, mit einem Armbrustbolzen im Hals.«
Agnes drehte sich zum Grafen um, der nun mitleidig lächelnd das Gesicht verzog. »Was für ein Jammer!«, seufzte er. »Aber diese Gegend ist einfach nicht sicher. Da kann es schon geschehen, dass man Opfer von Wegelagerern und Mördern wird. Manch einer geht zu tief in den Wald, er stöbert und sucht und findet dann nicht mehr heraus.« Scharfenecks Stimme wurde nun ganz leise. Sie schnitt durch die Luft wie ein scharfes Messer. »Ich an Eurer Stelle würde mich auch hüten, zu tief in den Wald zu gehen, Jungfer Agnes. Es wäre wirklich zu schade um Euer schönes Antlitz.« Graf Friedrich von Löwenstein-Scharfeneck sah sie lange an, sein Lächeln gefror zu Eis. Schließlich lachte er, und die bedrohliche Stimmung löste sich.
»Aber was reden wir über die Toten!«, fuhr er leutselig fort. »Lasst uns lieber über die Lebenden sprechen.« Er stand auf und schritt hinüber zu den Regalen, wo eine Karaffe mit Wein und zwei Gläser bereitstanden. Summend schenkte er ein und reichte Agnes einen der funkelnden Kristallbecher.
»Du bist ein schlaues Kind, Agnes. Schlau und wissbegierig«, sagte er im vertraulichen Ton. »Eigentlich ein Wunder bei diesem tumben Tor von Vater. Du solltest stolz sein, schon bald den Namen Scharfeneck tragen zu dürfen.«
Agnes’ Hand krampfte sich so fest um das Glas, dass sie schon dachte, es würde zerspringen. »Ich werde
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