Die Burg der Könige
erkundigte er sich schließlich. »Ich meine, er war doch nur leicht verletzt!«
»Das Wundfieber hat ihm offensichtlich doch mehr zu schaffen gemacht, als wir alle geahnt haben. Er ist in den frühen Morgenstunden gestorben. Seine Tochter war die ganze Zeit bei ihm.«
Und ich war nicht bei ihr, um sie zu trösten! , durchfuhr es Mathis.
Ulrich Reichhart neben ihm biss sich auf die Lippen, er schien mit sich zu ringen.
»Das ist wohl nicht die einzige schlechte Nachricht, die du bringst?«, fragte Mathis tonlos.
Reichhart nickte. »In der Tat. Das Gespräch, das ich belauschen konnte, war eines zwischen den Wachen und … und …« Er seufzte tief. »Deiner Mutter. Die Büttel haben sie nicht zu dir vorgelassen, Befehl vom Stadtrat. Und das, obwohl sie geweint und gefleht hat, mit deiner kleinen Schwester an der Hand. Verfluchte Sesselpuper!« Er spuckte zu Boden, dann sah er den jungen Waffenschmied ernst an. Mathis wusste, was nun kam.
»Auch dein Vater ist letzte Nacht gestorben. Es heißt, er habe noch nach dir gerufen.«
»O Gott.« Leer und ausgebrannt glitt Mathis an der Wand der Zelle hinab und kauerte sich auf den von Mist, Mäusekot und trockenen Spelzen gesprenkelten Boden. Er zog die Knie an den Körper und starrte in das letzte Sonnenlicht an der Decke, in dem träge die Staubflusen tanzten.
Warum war ich nicht da? Warum?
»Dein Vater war alt und krank, Mathis«, versuchte Reichhart ihn zu trösten. »Wenn er nicht gestern von uns gegangen wäre, dann vermutlich morgen oder übermorgen. Irgendwann ist eben für jeden von uns die Zeit gekommen.«
Mathis musste an seinen Vater denken, als er noch ein Kind gewesen war. Groß und stark war Hans Wielenbach gewesen, unbesiegbar, ein Riese am Amboss. Auch der Trifelser Burgvogt war unbesiegbar gewesen – ein edler Ritter und sein treuer Waffenschmied! Und nun waren sie beide tot.
»Mein Vater und der Burgvogt«, begann er leise mit geschlossenen Augen. »Sie kamen aus einer anderen Zeit. Ich dachte, die neue Zeit wäre eine bessere, aber, bei Gott, ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
Er verfiel in ein grübelndes Schweigen, und Reichhart ließ ihn in Ruhe. Bald darauf ging endgültig die Sonne unter, es wurde dunkel im Raum und angenehm kühl. Mathis hatte die Augen noch immer geschlossen, doch er schlief nicht.
Warum war ich nicht da?
Etwa zwei Stunden vor Mitternacht waren leise Geräusche auf dem Dach zu hören. Es klang wie das Trippeln kleiner Mäusefüße. Dachsparren und Ziegel wurden über ihnen beiseitegeschoben, dann vernahm Mathis vorsichtiges Bohren. Er sah nach oben und entdeckte plötzlich in der Decke ein winziges Loch, durch das die Sterne schienen.
»Ah, sie sind da!«, sagte Reichhart erleichtert und rieb sich die müden Augen. »Dachte schon, sie haben uns vergessen.«
Das Loch wurde größer, schließlich klappte jemand ein Stück Blech zur Seite, und erhellt durch eine Fackel blickte ein bärtiges, von wilden Haaren umrahmtes Gesicht zu ihnen herunter.
Es war der Schäfer-Jockel.
»Guten Abend, Mathis«, sagte er grinsend. »Hab ich dir nicht versprochen, dass ich dir’s irgendwann zurückzahle? Diesmal rette ich deinen hübschen Kopf. Das nächste Mal bist du wieder dran.« Er kicherte, als hätte er einen guten Witz gemacht; hinter ihm war leises Flüstern zu hören. Dann wurde ein Seil zu ihnen herabgelassen.
»Kommt schon!«, zischte Jockel. »Die beiden Büttel unten am Tor sind auf unserer Seite. Aber für die Männer im Wachthaus kann ich nicht garantieren. Der fette Markschild und die übrigen Stadträte reißen den Wachen den Arsch auf, wenn sie merken, dass ihr ausgebüxt seid.«
Mittlerweile hatten Jockels Helfer das Loch so weit vergrößert, dass ein einzelner Mann hindurchpasste. Mathis griff zum Seil und zog sich daran hoch. Das scharfe Blech schnitt schmerzhaft in seine linke Seite, dann war er oben auf dem Dach. Schnaufend folgte ihm Ulrich Reichhart.
Im Mondlicht standen der bucklige Schäfer-Jockel und zwei Bauern aus der Gegend, die Mathis vom Sehen her kannte. Einem von ihnen hatten Scharfenecks Landsknechte mit ihren Pferden erst vor kurzem die Felder zertrampelt, der andere war der Vater des Jungen, den der Stadtvogt Bernwart Gessler im Frühjahr hatte aufhängen lassen. Mit seinem dünnen grauen Haar und den wenigen verbliebenen Zahnstummeln wirkte er vor der Zeit gealtert. Zitternd drückte der schmächtige Mann Mathis’ Hand.
»Alle Bauern in der Gegend sind dankbar, dass
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