Die Burg der Könige
ich Euch bei Gott und allen Heiligen – der Arm meiner Familie reicht weit, Jungfer Agnes. Ihr würdet Euch wünschen, nie geboren worden zu sein!«
Erschrocken zuckte Agnes zurück. Tatsächlich hatte sie nichts gegen den Grafen in der Hand. Und selbst wenn, zu welchem Gericht sollte sie gehen? Zwar gab es für solche Fälle seit einigen Jahren das noch von Kaiser Maximilian eingerichtete Reichskammergericht in Nürnberg, doch die Prozesse dort dauerten oft viele Jahre, und man benötigte Geld, viel Geld, das Agnes nicht hatte.
Weder Geld noch Beweise , dachte sie. Und er weiß das.
»Wo ist Pater Tristan?«, fragte sie unvermittelt, um das Thema zu wechseln.
»Der alte Narr?« Friedrich von Scharfeneck setzte sich lächelnd wieder hin. Auf einmal war jegliche Schärfe aus seiner Stimme verschwunden. »Ich habe ihm befohlen, nach einigen meiner verwundeten Landsknechte zu schauen. Ein, wie ich nun sehe, vorausschauender Entschluss. Als heilender Tattergreis nützt er den Lebenden mehr als den Toten.«
Und du kannst hier besser herumschnüffeln , ging es Agnes durch den Kopf. Kaum ist der Hirsch tot, umfliegen ihn krächzend die Raben.
»Mein Vater hat mir vor seinem Ende von Eurer beider, nun … Abmachung erzählt«, sagte sie leise.
»Hat er das? Oh, das freut mich!« Der Graf klatschte in die Hände. »Ich hätte es Euch so gerne selbst eröffnet, aber Ihr wart leider in letzter Zeit ein wenig … ja, ruppig mir gegenüber.« Er griff unter sein samtenes Wams und zog ein versiegeltes Kuvert hervor. »Zur Sicherheit hat mir Euer Vater kurz vor der Schlacht sein Einverständnis noch einmal schriftlich bestätigt. Was für ein glücklicher Umstand, jetzt, da er tot ist und sich zu unserem Glück leider nicht mehr äußern kann. Findet Ihr nicht?«
Der Graf wedelte mit dem Papier und zwinkerte ihr zu mit einem Lächeln, das Agnes beinahe dazu brachte, ihm mitten ins Gesicht zu schlagen. Sie atmete tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen. Dann griff sie nach dem Schemel neben dem Ofen und setzte sich ihrem zukünftigen Bräutigam genau gegenüber. Feindselig starrte sie ihn an, während er das Schriftstück ungerührt wieder unter seinem Wams verschwinden ließ.
»Warum diese Heirat?«, fragte sie schließlich. »Mein Vater ist tot. Ihr könntet mich einfach von der Burg jagen und den Herzog bitten, Euch den Trifels zu überlassen. Ihr habt genug Einfluss.«
Friedrich von Scharfeneck zuckte mit den Schultern. »Der Herzog ist ein wankelmütiger Mann. Keiner weiß, wie er sich entscheiden würde. Es gibt auch andere mächtige Familien, die er päppeln muss. Also habe ich bei ihm um Erlaubnis gebeten, um Eure Hand anzuhalten. Das war sicherer. Außerdem …« Er lehnte sich nach vorne und legte die Finger in einer spielerischen Geste aufeinander. »Ihr mögt mir das nicht glauben, Jungfer Agnes, aber ich bin Euch wirklich zugeneigt. Ich glaube sogar, dass wir mehr teilen, als Ihr ahnt. Die Leidenschaft für alte Geschichten, das Träumen, unsere Liebe für dieses alte Gemäuer …« Er seufzte theatralisch. »Außerdem habe ich an widerborstigen Weibsbildern nun mal einen Narren gefressen. Was soll ich machen?«
Agnes verzog das Gesicht. »Dann seid beruhigt«, entgegnete sie bitter. »Eine andere Frau werdet Ihr auch nicht bekommen.«
»Ich darf also hoffen?«
Trotzig verschränkte Agnes die Arme. Während der ganzen letzten Stunden, die sie am Sterbebett ihres Vaters gesessen und seine Hand gehalten hatte, hatte sie mit sich gerungen. Die Entscheidung, die sie letztendlich getroffen hatte, war allein ihrer ungewissen Zukunft und dem letzten Wunsch ihres Vaters geschuldet.
Das Haus Erfenstein wird nicht untergehen, es wird aufgehen in einer blühenden Dynastie …
Sie atmete tief durch, bevor sie sich schließlich zu einer Antwort durchrang. »Wir wollen nicht um den heißen Brei herumreden«, sagte sie kühl, »Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass mir nicht viele Möglichkeiten bleiben. Also gut, ich bin mit der Heirat einverstanden. Aber nur unter drei Bedingungen!« Agnes’ Finger fuhr in die Höhe. »Erstens, Ihr lasst mich mein Leben so weiterführen wie bisher. Zweitens, Pater Tristan und Mathis bleiben beide als meine Freunde auf der Burg. Und drittens – glaubt ja nicht, dass ich Euch in mein Bett lasse! Ihr würdet eine böse Überraschung erleben.«
Nachdenklich zwirbelte Friedrich von Scharfeneck seinen schwarzen, sauber ausrasierten Kinnbart, während er Agnes wie eine Ware auf dem
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