Die Burg der Könige
der König die Augen wieder aufschlug, lag der Kopf des Chevaliers im Staub, eine rote Lache breitete sich um seinen gefallenen Körper aus. Franz wandte sich ab, um sich nicht zu übergeben. Sein Magen vertrug weder das lombardische Essen noch enthauptete Franzosen.
Seit fast drei Wochen hielten die Habsburger den französischen König nun schon in der Festung Pizzighettone unweit von Cremona gefangen. Franz’ Zelle war ein großes, weiträumiges Gemach, von dem aus er auf die öde Poebene blicken konnte. Es gab keine Gitter vor dem Fenster und kein schweres Türschloss, doch dies war auch nicht nötig. Der Kerker befand sich im obersten Stockwerk eines Wehrturmes, der fast zwanzig Schritt steil abfiel. Auf dem ummauerten Festungshof darunter exerzierten Tag und Nacht unzählige Söldner, die in ihren blankpolierten Rüstungen, mit ihren Helmen und Hellebarden die geballte Macht des Habsburger Reiches verkörperten. Beinahe ebenso viele Soldaten wachten im engen Treppenhaus des Turms. Trotzdem hatten drei französische Ritter letzte Nacht versucht, ihren König zu befreien. Sie hatten sich mit gefälschten Siegelringen als päpstliche Gesandte ausgegeben und waren im Morgengrauen in den Turm eingedrungen. Erst im letzten Augenblick war der Plan vereitelt worden, als einer der Soldaten die als Wachen verkleideten Ritter an ihrem provenzalischen Akzent erkannte.
Franz kämpfte gegen den Brechreiz an und sah wieder hinunter in den Hof, wo soeben der Chevalier Charles de la Moraine in den Staub gedrückt wurde.
»Vive la France, vive le roi!« , schrie er laut, bevor der Henker ihm mit einem sauberen Schnitt den Kopf vom Körper trennte.
Widerwillig bewunderte Franz die Arbeit des kaiserlichen Scharfrichters, er war ein guter Handwerker, der seine Opfer immerhin nicht leiden ließ. Der französische König hatte schon Männer auf viel schmerzhaftere Weise sterben sehen. In der Schlacht bei Pavia, bei der er vor über einem Monat von den Habsburgern gefangen genommen worden war, hatte ein dahergelaufener Landsknecht dem Heerführer La Trémoille eine Kugel in den Bauch geschossen. Drei Tage lang hatte der Graf gelitten und geschrien, bis es endlich vorbei war. Der Marschall de Foix war in Gefangenschaft langsam verblutet, nachdem ihn spanische Arkebusiere in seiner weithin glänzenden Rüstung aufs Korn genommen hatten. Louis d’Ars, San Severino, François de Lorraine, Bonnivet … All diese großen Männer hatten ihren König retten wollen, doch am Ende war die Übermacht des Feindes zu groß gewesen.
Die Kriege in den italienischen Städten dauerten nun schon viele Jahre, sie waren ein Symbol dafür geworden, wer in Europa das Sagen hatte: die Habsburger oder die Franzosen. Noch vor einigen Monaten hatte es so ausgesehen, als würde sich das Blatt nun endlich wenden. Der Verräter Charles de Bourbon war vor Marseille in die Flucht geschlagen, das französische Kernland zurückerobert worden. Franz I. war daraufhin bis Mailand vorgedrungen, doch bei der Belagerung von Pavia hatte der deutsche Kaiser schließlich alles auf eine Karte gesetzt. Ein 23 000 Mann starkes Heer hatte Karl V. über die Alpen gesandt, das die Franzosen Ende Februar schließlich besiegt hatte. Franz selbst war mitten im größten Gemetzel das Pferd unter den Beinen weggeschossen worden. Wie ein gemeiner Bettler musste er sich in einem Haufen Rüben verbergen und um Gnade flehen.
Seitdem war der französische König Gefangener seines größten Feindes.
Unten auf dem Schlosshof setzten erneut die Trommeln ein. Franz drehte sich weg, trotzdem hörte er die Klagerufe des Chevalier Auguste de Sontier, eines jungen Burschen von nicht einmal zwanzig Jahren, der aus der Camargue stammte.
»Vive le roi, vive …«
Der Schrei brach ab, und Franz wusste, dass das blutige Handwerk des Henkers nun getan war. Der König bekreuzigte sich, dann schritt er hinüber in das zweite Gemach, in dem für ihn ein schlichter Hausaltar aufgebaut war. Er kniete sich in den Betstuhl, zog seinen elfenbeinernen Rosenkranz unter dem Wams hervor und murmelte leise das Vaterunser. Die monotone Litanei half ihm, zur Ruhe zu kommen. Er schloss die Augen und war nur noch erfüllt vom Wort Gottes.
»Notre Père qui est aux cieux! Que ton nom soit sanctifié; que ton règne vienne; que ta volonté soit faite …«
Eine Ewigkeit mochte so vergangen sein, als im vorderen Gemach plötzlich das Schaben des Riegels zu hören war. Die Tür öffnete sich quietschend, und
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