Die Burg der Könige
Grabungen überwachen. Die Gelegenheit war also günstig. Am späten Morgen hatte sie sich, unauffällig wie ein junger Pilger gekleidet, auf den knapp dreistündigen Weg gemacht, der über den schmalen Eselspfad durch die Wälder und Hügel zum Kloster führte.
Mit angehaltenem Atem starrte Agnes auf die große Rodung, über der ein bleischwarzer Dunst hing. Die Brände am Kloster und der Kirche waren offenbar bereits erloschen, dort stiegen nur noch dünne Rauchfäden empor. Doch an vielen der Schuppen und umliegenden Häuser leckten weiterhin rötliche Flammenzungen, bis hierherauf konnte sie den beißenden Brandgeruch ausmachen. Was in Gottes Namen mochte dort unten geschehen sein? Es hatte in den letzten Stunden kein Gewitter gegeben, zudem war das Feuer zu groß, als dass es nur von einem Brand im Backhaus stammen konnte. War das Kloster etwa angegriffen worden? Aber von wem?
Lieber Gott, mach, dass Pater Tristan nichts passiert ist! , dachte sie. Lass das alles nur einen bösen Traum sein!
Sie begann zu laufen, doch schon nach wenigen Schritten zögerte sie. Wenn es dort unten wirklich einen Überfall gegeben hatte, trieben sich womöglich noch immer Räuber in der Nähe herum. Andererseits musste sie unbedingt erfahren, was mit Pater Tristan geschehen war.
Der steile, sich windende Pfad wurde nun zu einem breiten Hohlweg, der auch für Karren befahrbar war. Die ersten Äcker und Felder des Klosters tauchten auf. Agnes atmete tief durch, dann beschloss sie, geradewegs auf das Kloster zuzulaufen.
Schon nach wenigen Augenblicken wusste sie, dass dies die falsche Entscheidung gewesen war.
Es gab einen Ruck, dann zog sie plötzlich etwas mit aller Macht nach oben. Ihre Filzkappe fiel zu Boden, wie ein Schlachtkalb baumelte sie kopfunter an einem Strick. Sie zappelte und zerrte, doch die Schlinge zog sich nur noch fester. Als sie sich die Haare aus dem Gesicht wischte, starrte sie auf zwei bärtige, rußbeschmierte Männer, die direkt vor ihr standen. Die beiden sahen aus, als wären sie einem Köhlermeiler entstiegen.
»Schau an, schau an, wen haben wir denn da?«, sagte der eine der Männer und grinste anzüglich. Eine schlecht verheilte wulstige Narbe zog sich wie eine zweite Lippe über seine Stirn. »Ein hübsches Vöglein ist uns da in die Falle gegangen. Mal sehen, ob es auch zwitschern kann.«
Schnaufend tastete er nach Agnes’ Brüsten, doch der zweite, jüngere Mann packte ihn an der Schulter. Eitrige Pickel bedeckten den Großteil seines Gesichts.
»Dafür haben wir keine Zeit«, mahnte er. »Du weißt selbst, was der Jockel gesagt hat. Wir sollen ihm jeden melden, der sich dem Kloster nähert. Und zwar gleich.«
»Pah, der Jockel kann mir gestohlen bleiben«, knurrte der andere. »Was schert das den schon, ob wir uns ein wenig amüsieren? Wir haben den Kampf gewonnen, also nehmen wir uns, was uns zusteht. So ist’s im Krieg Brauch! Außerdem ist das hier ja kein gefährlicher Landsknecht, sondern nur ein einfaches Mädchen, das …« Er zögerte und betrachtete Agnes genauer. »Moment mal, die Göre kenn ich doch«, murmelte er. »Trägt Beinlinge wie ein Mannsbild, das Hemd ist aus feinstem gewebtem Barchent …« Ein Strahlen ging über sein schmutziges, verrußtes Gesicht. »Natürlich, das ist die Vogtstochter vom Trifels! Diese junge versponnene Gräfin!«
»Verflucht, du hast recht!«, erwiderte nun der Picklige und klatschte erfreut in die Hände. »Ha, da ist uns eine vornehme Herrin ins Netz gegangen! Der Jockel wird stolz auf uns sein.«
»Lasst mich sofort runter!«, schimpfte Agnes und zappelte wild hin und her. »Wenn mein Mann, der Graf von Scharfeneck, das erfährt, wird er euch langsam über dem Feuer rösten! Er wird …«
»Ich glaube, du verkennst die Lage, werte Frau Gräfin «, unterbrach sie das Narbengesicht und stupste Agnes an, so dass sie wie ein Bündel Klaubholz hin und her pendelte. Der Picklige kicherte wie ein kleines Kind. »Die Zeiten haben sich geändert«, fuhr der Ältere fort. »Wir Bauern haben nun hier im Eußerthal das Sagen. Dein Herr Gemahl wird schon ein deftiges Lösegeld zahlen müssen, wenn er dich in einem Stück wiedersehen will.«
»Wir könnten ihm ja schon mal ein Ohr von ihr schicken«, prustete der andere. »Ganz umsonst.«
Tatsächlich holte der Mann mit der Narbe nun ein großes Messer hervor. Agnes hielt den Atem an. Doch anstatt ihr ein Ohr abzuschneiden, hieb der Bauer nur das Seil durch, und sie plumpste wie ein nasser Sack zu
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