Die Burg der Könige
vor allem zum Wohle aller verwendet werden. Auf diese Weise würde jeder seinen Anteil bekommen.
Der Jockel saß im Schneidersitz vor dem glitzernden Haufen und führte mit einer abgewetzten Kladde und einem Federkiel Buch. Als Mathis an ihm vorüberging, würdigte er ihn keines Blickes. Doch einige der umstehenden Bauern schlugen dem jungen Waffenschmied aufmunternd auf die Schulter. Offensichtlich waren sie froh, dass es Mathis gelungen war, das Blutbad zu beenden.
Die überlebenden Eußerthaler Mönche hatten die Bauern in einen der Vorratskeller gesperrt. Dort sollten sie als Geiseln so lange bleiben, bis das Kloster für den Verteidigungsfall gerüstet und die Dahner und Wilgartswiesener Bauern als Verstärkung eingetroffen waren. Mathis machte sich keine Illusionen: Gegen ein gut ausgerüstetes Heer von Landsknechten würden sie, auch hinter den hohen Klostermauern, keinen Tag lang bestehen können. Mit dem Überfall auf Eußerthal hatten die Annweiler Bauern dem Speyerer Bischof, dem Herzog von Zweibrücken, ja der gesamten Pfalz den Krieg erklärt. Die Antwort würde bald erfolgen. Bis dahin mussten sie so viele Männer wie möglich um sich geschart haben. Das war ihre einzige Chance.
Ein Zurück gab es nicht mehr.
Mathis beschloss, sich noch einmal das Dormitorium des Klosters anzusehen, um einen geeigneten, gut absperrbaren Raum für die zukünftige Waffenkammer zu finden. Er wandte sich nach rechts, durchquerte das Kapitel, wo sich die Zisterzienser bis gestern Abend zu ihren täglichen Lesungen und Ansprachen getroffen hatten, und warf einen kurzen Blick in das Refektorium. Im Speisesaal der Mönche hatten die Bauern besonders schlimm gewütet. Stühle und Tische waren umgeworfen, Scherben von Tellern und Schüsseln lagen überall auf dem Boden, mitten auf dem gepolsterten Sessel des Abtes hatte einer der Aufständischen einen stinkenden Haufen hinterlassen. Naserümpfend stieg Mathis die Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Hier waren die Zerstörungen geringer, viele der Bauern waren offenbar gar nicht bis hierher vorgedrungen. Zur Linken lagen einige Kammern, von denen eine Mathis besonders interessierte, da sie mit einem großen Schloss versehen war. Vielleicht wäre dies ja der geeignete Aufbewahrungsort für ihre zukünftigen Feuerwaffen. Ein Schriftzug auf der Tür verriet ihm, was sich dahinter verbarg.
Scriptorium.
Als Mathis die Klinke drückte, merkte er, dass die Tür bereits einen kleinen Spaltbreit offen stand. Sie schwang nach innen auf und machte den Blick frei auf eine Reihe Pulte, auf denen sich jeweils ein Fass Tinte und ein Stapel geschnittener Pergamentseiten befanden. Bücher stapelten sich auf den Tischen und am Boden. Über das hinterste Pult hingestreckt lag eine weißgewandete Gestalt, der Kopf lehnte auf der Tischplatte, die verkrampften Finger umklammerten eine Schreibfeder. Als Mathis genauer hinsah, bemerkte er Blut, das wie dicke Tinte gleichmäßig auf den Boden tropfte. Einen Augenblick lang erstarrte Mathis vor Schreck.
Der leblose Mann auf dem Pult war Pater Tristan.
»O mein Gott!«
Mathis rannte auf den alten Mann zu und richtete ihn vorsichtig auf. Der Pater lebte noch, doch sein Atem ging röchelnd und stoßweise. An seinem Hals klaffte eine tiefe Wunde, und auch die weiße Tunika war an der rechten Seite nass von Blut.
»O Gott, Pater!«, rief Mathis. »Es … es tut mir so leid! Bei allen Heiligen, das habe ich nicht gewollt!«
Er war immer davon ausgegangen, dass Pater Tristan sich auf dem Trifels befand. Ihn hier schwerverletzt vorzufinden brach ihm fast das Herz. Er kannte den alten Mönch, seitdem er ein kleiner Bub gewesen war. Pater Tristan hatte ihm geholfen, das Lesen zu lernen, und er hatte immer ein gutes Wort oder etwas Naschwerk für ihn gehabt. Als Mathis mit neun Jahren hustend und fiebernd dem Tode näher war als dem Leben, hatte der Alte ihn in langen durchwachten Nächten wieder kuriert. Plötzlich kam Mathis sein ganzes kurzes Leben so furchtbar sinnlos vor. Alles, was er bislang getan hatte, war, zu streiten, zu kämpfen und Dinge zu erfinden, die töteten. Wie hatte er sich nur auf diesen Wahnsinn einlassen können!
»Wer … wer hat das getan?«, fragte er, obwohl er wusste, dass die Antwort unerheblich war. Irgendein vom Zorn aufgepeitschter Bauer hatte den Pater wie ein Schwein abgestochen. In einer Ecke des Scriptoriums sah Mathis eine große Blutlache. Vermutlich war der alte Mönch dorthin geflohen, bevor ihn der Spieß oder
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