Die Burg der Könige
Boden. Ihre Schulter pochte vor Schmerz, die Beine kribbelten, als würden Tausende von Ameisen darüberlaufen. Stöhnend richtete sie sich auf und spürte, wie ihr ein feines Rinnsal Blut über die Stirn floss.
»Dieses Mädchen ist viel zu wertvoll, um sie zu kitzeln und zu ritzen«, sagte das Narbengesicht wichtigtuerisch. Er nahm Agnes’ Mantel und schlang ihn sich um die Schultern. »Die ist wie ein Diamant, und wir haben sie gefunden. Komm, lass sie uns zum Jockel bringen.«
Die Männer banden sie an den Händen und legten ihr einen weiteren Strick um den Hals. Dann führten sie Agnes wie ein Stück Vieh pfeifend und singend auf das zerstörte Kloster zu.
***
Mathis starrte auf die drei Gestalten, die sich dem Klostervorplatz näherten, und konnte es kaum fassen.
Das Mädchen in der Mitte der beiden Wachleute war tatsächlich Agnes! Gerade hatte er Pater Tristan hinunter ins Krankenzimmer gebracht, wo dieser neben ein paar verletzten Bauern von einer der verängstigten Klostermägde gepflegt wurde. Mathis hatte mehrmals nach dem seltsamen Brief unter seinem Rock getastet und ebenso oft an Agnes gedacht – und nun taumelte sie hier, gebunden und mit blutender Stirn, zur Klosterpforte herein. Sie trug ihre alten Lederbeinlinge und ein dünnes, zerrissenes Hemd, ihre Haare waren schmutzig und zerzaust, und sie zitterte am ganzen Körper. Trotzdem war Agnes immer noch so liebreizend, wie Mathis sie von ihrem letzten Treffen, kurz vor der Belagerung der Ramburg, in Erinnerung behalten hatte.
Mittlerweile hatte sich eine ganze Traube Menschen um die Gefangene versammelt. Die Männer lachten und johlten, als hätten die Wachen einen kapitalen Hirsch geschossen. Einer zog Agnes an den Haaren, ein anderer zerrte an ihrem Hemd, so dass es an der Schulter weiter aufriss und einen Blick auf ihre Brüste freigab. Mit gefesselten Händen bedeckte Agnes ihren Oberkörper, sie duckte und wand sich, während immer mehr Hände nach ihren Haaren, ihrem Gesicht und ihrem Busen griffen. Trotz ihrer misslichen Lage strahlte sie jenen Stolz aus, den Mathis an ihr immer schon bewundert hatte.
»Aufhören, sofort!«
Mathis stürmte auf die Gruppe zu und zerrte ein paar der Männer zur Seite; einem gab er einen so kräftigen Stoß, dass dieser verdutzt auf den Hosenboden fiel, einem zweiten schlug er heftig ins Gesicht.
»Was … was soll das?«, schrie der Mann und hielt sich seine aufgeplatzte Lippe. Blut tropfte zu Boden. »Stell dich gefälligst hinten an, wenn du Spaß haben willst!«
»Ihr seid nicht besser als Tiere!«, fuhr ihn Mathis an. »Nicht besser als stinkende, geile Tiere!« Die anderen Männer traten zur Seite und sahen ihn argwöhnisch an.
Agnes hatte noch immer ihre Hände schützend vors Gesicht gehalten. Nun ließ sie sie langsam sinken, und ihre Augen weiteten sich. Erst jetzt schien sie zu begreifen, wer ihr da eigentlich geholfen hatte.
»Mathis!«, rief sie und sah ihn entsetzt an. »Du hier? … Aber … aber …«
»Ich sehe, die zwei kennen sich bereits.«
Es war die Stimme des Schäfer-Jockel, der den Lärm gehört und sich der Gruppe genähert hatte. Sein Blick ging langsam von Mathis zu Agnes und wieder zurück. Auf Jockels Gesicht zeigte sich gespielte Überraschung.
»Aber natürlich, die Trifelser Vogtstochter und ihr ehemaliger Waffenschmied! Was für ein freudiges Wiedersehen!« Argwöhnisch musterte er Mathis. »Man könnte ja fast meinen, du hast mit der Kebse was zu schaffen, so wie du dich gebärdest.«
»Ich will nur nicht, dass sich die Männer wie Tiere benehmen, das ist alles.« Mathis blickte betreten zu Boden. Keiner der Bauern hier wusste, wie nah ihm Agnes wirklich stand. Für sie war er bloß der ehemalige Trifelser Waffenschmied und sie seine frühere Herrin, die jetzige Gräfin zu Löwenstein-Scharfeneck. Sein Verhalten musste die Männer erstaunen. Vermutlich erwarteten sie eher, dass er Agnes anspie.
»Keine Frau hat es verdient, so behandelt zu werden«, sagte er barsch.
In Jockels Augen leuchtete ein böses Funkeln. Plötzlich hielt er sich weibisch die Finger vor den Mund.
»Oh, Mathis! Du hier! Aber, aber …«, äffte er Agnes mit fistelnder Piepsstimme nach. Die Männer lachten schallend.
»Wenn ich nicht wüsste, dass du mein bester Mann bist und den Adel hasst wie den Leibhaftigen, könnte ich fast glauben, ihr beiden hättet was miteinander«, sagte er schließlich leise. »Sag, Mathis. Habt ihr was? Na, red schon! Hast du mit der hübschen Gräfin schon
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