Die Burg der Könige
Mathis dazu sagen würde, wenn Agnes eine weitere Person in ihre Pläne einweihte.
Noch immer stand Melchior mit der Hand an der Brust abwartend vor ihr, schließlich gab Agnes achselzuckend auf.
»Also … also gut«, begann sie. »Ihr mögt mich und meine beiden Freunde auf unserer Reise begleiten. Aber Ihr müsst schwören, dass Ihr keiner Seele etwas darüber verratet!« Agnes musste erneut an die letzten Worte von Pater Tristan denken.
Die Hebamme hat mir erzählt, dass sie hinter dir her sind …
»Es mag sein, dass uns jemand verfolgt«, fuhr sie leise fort. »Auch wenn ich nicht weiß, wer und warum. Es gilt also, Stillschweigen zu wahren.«
Melchior zog entrüstet die Augenbrauen hoch. »Ihr sprecht mit einem Ritter, Herrin! Nicht mal auf der Folterbank würde ich unser Geheimnis preisgeben!«
»Wir wollen hoffen, dass es nicht so weit kommt«, antwortete sie düster. »Jetzt schnell, bevor mein Gemahl zurückkommt! Wenn er uns hier zwischen all den zu Boden geworfenen Kleidern antrifft, könnte er die falschen Schlüsse ziehen. Das möchte ich nicht erleben.«
Agnes warf dem kleinen Barden den Sack zu und eilte auf den Ausgang zu. Im Vorübergehen griff Melchior nach einem hermelinbesetzten Wintermantel und rannte ihr mit stolzgeschwellter Brust nach, der Degen an seiner Seite klimperte leise im Gehänge.
Als sie in der Abenddämmerung über den Burghof eilten, hielt Agnes plötzlich inne.
»Einen Augenblick«, sagte sie zu Melchior. »Ich … ich muss mich noch von jemandem verabschieden.«
Sie ließ den staunenden Barden zurück und ging hinüber in eine Ecke des Hofs, wo im Schatten eine kleinere Voliere stand. Darin saß auf einer Stange, den Kopf verborgen unter der Lederhaube, ihr Falke Parcival. Vorsichtig nahm sie ihm die Haube ab, und der Vogel flatterte aufgeregt auf und ab, wobei das silberne Kettchen an seinem Fuß klingelte. Die beginnende Mauser hatte sein Schwanzgefieder grau und durchlässig gemacht.
»Parcival«, flüsterte Agnes und kraulte ihn am Kopf. »Ich … ich muss dich leider verlassen. Es tut mir so leid, aber du kannst mich nicht begleiten.«
Kurz hatte sie überlegt, den Falken und auch ihr Pferd Taramis auf ihrer Reise mitzunehmen, doch mit dem stattlichen Fuchs wäre sie zu sehr aufgefallen. Außerdem brauchte der Vogel regelmäßige Pflege und Nahrung. Daher hatte sie sich für eine andere Lösung entschieden.
Agnes zögerte, dann löste sie das Kettchen vom Fuß des Falken und öffnete die Tür der Voliere.
»Flieg, Parcival, flieg«, sagte sie leise. »Dort draußen warten Mäuse, Kaninchen und bestimmt auch eine hübsche Falkendame auf dich. Leb wohl. Al reveire !«
Der Vogel tippelte unruhig auf seiner Stange hin und her. Schließlich spreizte er die Flügel und flatterte hinaus in den Hof. Kurz blieb er noch auf einer Zinne sitzen, dann erhob er sich und schraubte sich mit einem gellenden Schrei in die Luft. Er zog einige Kreise über der Burg, fast so, als wollte er sich verabschieden, schließlich flog er nach Westen davon, der untergehenden Sonne entgegen.
Agnes sah ihm nach, bis er hinter den Mauern der Burg verschwunden war.
Draußen im Wald, versteckt hinter einem Brombeerbusch, starrte eine verkrümmte Gestalt hasserfüllt auf die beiden Männer, die vor der Felswand unterhalb von Burg Scharfenberg auf etwas zu warten schienen.
Der Bucklige fluchte leise. Was, verdammt noch mal, hatten die zwei dort vor? Was auch immer es war, nun war es Zeit, den Sack zuzumachen, bevor er hier endgültig festfror. Ungeduldig rieb sich der Schäfer-Jockel die kalten Hände und sah sich nach seinen Bauern um, die im Gehölz hinter ihm auf seine Befehle warteten. Dieses vorlaute Jüngelchen würde es noch büßen, ihn vor allen Männern blamiert zu haben. O ja, büßen würde Mathis, und das nicht zu knapp!
In einer langgezogenen Reihe waren sie den Flüchtenden seit heute Mittag über die Hügel gefolgt. Doch irgendwann hatten sie ihre Spur im Wald verloren. Jockel hatte zunächst getobt, aber dann war ihm eingefallen, wohin zumindest einer der drei vermutlich unterwegs war. Vor Scharfenberg hatte er schließlich Posten aufstellen lassen, allerdings war er davon ausgegangen, dass die Vogtstochter sich schnurstracks dem vorderen Burgtor und nicht von der steilen Nordflanke her nähern würde. Deshalb waren sie fast zu spät gekommen.
Doch die Bauern hatten Glück gehabt, ein einzelner Posten hatte die Fliehenden im letzten Augenblick entdeckt. Und nun
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