Die Burg der Könige
standen Mathis und dieser Narr Reichhart einfach hier im Schnee wie zwei verschreckte Hirsche! Nur die verzogene Grafengöre war ihnen dummerweise durch die Lappen gegangen.
Schon wollte Jockel den Befehl zum Angriff geben, als mit einem Mal an der Felswand zwei weitere Gestalten auftauchten. Wo waren sie nur so plötzlich hergekommen? Der Schäfer-Jockel sah genauer hin. Es waren ein zierlicher Mann in der Kleidung eines Junkers, der einen Sack über der Schulter trug, und …
Die Gräfin!
Der Jockel hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut loszukichern. Das dumme Weibsbild war tatsächlich wieder aus seinem schützenden Bau gekrochen und hatte ihm auf diese Weise auch noch einen Weg in die Burg verraten. Ganz offensichtlich gab es in der Felswand eine versteckte Tür. Nun hatte er sie alle miteinander in der Falle!
Neugierig musterte Jockel den Mann mit dem Sack, der sich nun Mathis und dem alten Reichhart näherte. Es gab ein paar halblaut geführte Gespräche, schließlich zog die Vogtstochter warme Kleidungsstücke aus dem Beutel hervor und verteilte sie an die Übrigen. Der Jockel grinste, als er begriff, was hier vor sich ging. Die vier wollten fliehen! Offensichtlich gefiel es der holden Maid auf ihrer Burg nicht mehr, vielleicht war der Geck neben ihr ihr Liebhaber, vielleicht hatte der Herr Gemahl dem frechen Weibsbild aber einfach den Laufpass gegeben – und das, obwohl sie mit ihren wilden blonden Haaren, den prallen kleinen Brüsten und der wohlgeformten Figur nun wirklich äußerst ansehnlich war.
Mehr als ansehnlich sogar.
Dies brachte den Jockel auf einen Gedanken, der genauso böse wie genial war. Ein schmales, diabolisches Grinsen zuckte über seine Lippen. Manchmal musste er über seinen Verstand selbst staunen. Einzig Mathis konnte ihm gelegentlich das Wasser reichen, der Junge war schlau und bei den Männern beliebt. Es wäre riskant gewesen, ihn jetzt vor aller Augen abzuschlachten. Doch nun würde er diesen vorlauten Ehrgeizling ganz galant aus dem Weg schaffen und sich gleichzeitig an dem Adelstöchterlein rächen, und zwar auf eine Weise, die an den Lagerfeuern der Aufständischen noch lange für Gesprächsstoff sorgen würde.
Kein Zweifel, er war der geborene Anführer.
»Was ist nun, Herr?«, meldete sich ungeduldig Paulus hinter ihm. »Sollen wir zuschlagen?«
Der ehemalige Landstreicher trug dort, wo ihn Reichharts flache Schwertschneide getroffen hatte, einen Verband um den Kopf. Seine Augen glitzerten im Dämmerlicht vor Hass und Zorn. Es gefiel Jockel, dass Paulus ihn mittlerweile mit »Herr« anredete wie einen Ritter oder Grafen.
Der Schäfer-Jockel schüttelte den Kopf. »Ich habe einen viel besseren Einfall. Du kennst doch das Dorf Rinnthal, nicht weit von hier?«
Als Paulus verständnislos nickte, fuhr der Jockel fort: »In Rinnthal treiben sich gerade ein paar üble Gesellen herum. Hurenhändler sind’s, auf dem Weg weiter nach Straßburg. Die halten Ausschau nach hübschen Bauerntöchtern, die in diesen schweren Zeiten ihren Eltern die letzten Haare vom Kopf fressen.«
Paulus’ Mund verzog sich zu einem Grinsen, als er endlich begriff. »Du … du meinst, wir haben was Besseres zu bieten als eine Bauerntochter?«
»O ja, etwas viel Besseres. Eine echte Gräfin.« Der Jockel zwinkerte ihm zu. »Zum Lohn murksen sie uns den Mathis und die anderen beiden Tollpatsche ab, und wir müssen uns nicht mal die Finger schmutzig machen.« Er gab Paulus einen Stups, als dieser leise kicherte. »Und jetzt lauf, bevor uns die goldene Gans noch davonflattert.«
Als der Landstreicher verschwunden war, starrte der Jockel noch eine ganze Weile nachdenklich auf die Burg Scharfenberg, die senkrecht über ihm aufragte. Bis vor kurzem war sie ihm noch uneinnehmbar erschienen, doch nun kannte er ihren wunden Punkt. Der bucklige Bauernführer schmunzelte. Schon bald waren die Männer aus Dahn und Wilgartswiesen hier. Er würde ihnen ein Kloster als Heerlager bieten können und darüber hinaus den Weg in eine Festung. Gemeinsam würden sie Burg Scharfenberg erstürmen. Der Trifels würde folgen, dann Annweiler und die übrigen Orte, bis hinunter zum Rhein.
Und es war keine Frage, wer der Anführer ihrer gewaltigen, stetig wachsenden Armee sein würde.
***
Begleitet vom steten Rauschen der Queich wanderten Agnes und die drei Männer auf den kleinen Ort Albersweiler zu, der ein paar Meilen östlich von Annweiler lag. Sie waren bereits über eine Stunde unterwegs, und mittlerweile
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