Die Burg der Könige
ein.
Friedrichs Kammer war die größte in der ganzen Burg. Duftende Binsen waren auf dem Boden ausgestreut, ein glühender Feuertopf sorgte dafür, dass der Graf es bei seiner Heimkehr schön warm hatte. Das breite Himmelbett mit seinen dicken Daunendecken hatte Agnes bislang meiden können; Friedrichs Trieb schien ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Meist saß er bis spät in der Nacht an seinem Schreibtisch und studierte alte Dokumente und Akten.
Agnes wandte sich den drei Truhen zu, die an der Fensterseite standen, und zog wahllos einige Kleidungsstücke daraus hervor. Friedrich hatte ungefähr ihre Größe, und der eine oder andere warme Pelzmantel würde sicher auch Mathis und Ulrich Reichhart passen. Außerdem würden sie für die teueren Pelze noch eine hübsche Summe bekommen.
Nachdem sie ein Bündel Kleider ausgesucht und in einen Sack gesteckt hatte, wandte sie sich schließlich der Schublade des Schreibtischs zu. Sie wusste, dass ihr Gemahl dort immer eine kleinere Geldsumme aufbewahrte. Tatsächlich stieß sie auf einen prall gefüllten Lederbeutel. Als sie ihn öffnete, rollten ihr Dutzende golden glänzende Gulden und Zechinen entgegen. Sie lächelte und packte den Beutel zu den Kleidungsstücken in den Sack. Mit so viel Geld würden sie es zur Not sogar bis ins ferne Venedig schaffen.
»Ihr wollt uns doch nicht etwa für länger verlassen? Wie bedauerlich.«
Die Stimme kam von der offenen Tür her. Erschrocken ließ Agnes den Sack fallen und wandte sich um. Es war Melchior von Tanningen, der soeben die Kammer betrat. Neugierig betrachtete der Barde die geöffneten Truhen, aus denen Mäntel, Hemden und Röcke herausquollen.
»Oder räumt Ihr etwa bei Eurem Mann auf? Dafür gibt es doch Dienstboten.« Melchior zuckte lächelnd die Achseln. »Obwohl, Ihr seid Euch ja auch nicht zu schade, den Wein aus der Küche zu holen.«
»Äh, in der Tat«, begann Agnes stockend. »Ich habe einen warmen Mantel gesucht, und da sah ich diese Unordnung und …« Sie verstummte, als sie Melchiors Blick bemerkte, der auf ihrem zerrissenen Hemd verharrte.
»Wer hat Euch das angetan?«, wollte er empört wissen. »Der Graf?«
Agnes schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das war nur ein harmloser Sturz auf der Treppe.«
»Und der Sack an Eurer Seite?«
»Ich, ich …« Plötzlich merkte Agnes, dass sie sich immer tiefer in ihre Lügen verstrickte. Melchior beobachtete sie aufmerksam. Schließlich ließ sie sich aufs Bett sinken und hob demütig die Hände.
»Wenn ich Euch ein Geheimnis verrate, versprecht Ihr mir zu schweigen?«
Der Barde reckte die rechte Schwurhand und fiel wie ein altertümlicher Ritter vor ihr auf die Knie. »Bei allem, was mir heilig ist, bei dem Himmel, der Erde und dem Deutschen Reich, ich schwöre …«
Agnes winkte ab. »Ich glaube, das genügt mir.« Sie zögerte kurz, dann fuhr sie leise fort: »Bester Melchior, Ihr wart mir immer ein guter Freund, doch ich muss Euch jetzt verlassen. Ich kehre Burg Scharfenberg und meinem Gemahl für immer den Rücken.«
Melchior sah sie erstaunt an. »Ihr … Ihr geht? Aber wohin?«
»Das kann ich Euch nicht sagen.«
Der Barde verbeugte sich noch ein Stück tiefer und hielt den Kopf gesenkt wie zum Gebet. »Und wenn es direkt in die Hölle ist, ich werde Euch begleiten.«
»Das geht nicht!« Agnes seufzte. »Es ist gefährlich und …«
»Gerade deshalb werde ich Euch begleiten. Ich werde niemals zulassen, dass eine junge Frau sich allein auf eine Reise durch das Deutsche Reich begibt, nicht in diesen Zeiten! Noch dazu, wenn sie womöglich von ihrem rachsüchtigen Gemahl verfolgt wird. Außerdem bin ich ohnehin schon zu lange auf dieser Burg. Barden müssen reisen, sonst haben sie nichts zu besingen.« Melchior von Tanningen stand auf und hielt sich die Hand an die Brust. Jeder einzelne seiner etwas über fünf Fuß Körpergröße schien vor Stolz zu beben. »Ich habe einst einen Eid geleistet, die Schwachen zu beschützen. Lasst mich Euer Paladin sein.«
Agnes hätte beinahe gelacht, wäre die Situation nicht so ernst gewesen. Sie wollte ein weiteres Mal widersprechen, doch dann zögerte sie. Der Barde konnte tatsächlich ein wertvoller Begleiter sein. Er war weit herumgekommen und kannte sich in der Welt aus. Außerdem hatte er bereits bewiesen, dass er trotz seiner zierlichen Gestalt ein guter Schwertkämpfer war. Und so einen konnten sie auf ihrer langen Reise durch ein Land in Aufruhr wahrlich gut gebrauchen. Fragte sich nur, was
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