Die Burg der Könige
fand keinen.
Polternde Schritte wie von einem großen zornigen Tier hasteten die Treppe zu seiner Kammer hoch.
***
Mathis schaukelte im Schlaf, und er wusste nicht, ob er im Bett lag oder auf einem Pferd saß. Es war ein ewig gleiches Auf und Ab, das ihn durch seine schweißgebadeten Träume begleitete. Dabei sah er immer wieder Agnes, die die Hände nach ihm ausstreckte, bevor sie schreiend in einen schwarzen Strudel gezogen wurde. Der Strudel hatte die Form eines großen Rings, der sich schneller und immer schneller drehte. Mathis griff nach ihr, doch ihre Hände entglitten ihm, und sie verschwand in der Dunkelheit.
»Agnes! Der Ring, der Ring!«
Schreiend schlug er die Augen auf und erblickte über sich eine wurmzerfressene Holzdecke. Ein feuchtes, von Motten zerfressenes Laken bedeckte seinen Körper wie ein Leichentuch. Mathis wischte es zur Seite, richtete sich auf und begriff, dass er in einem Bett lag. Es stand in einer niedrigen Dachkammer, deren Fußboden mit alten, stinkenden Binsen ausgestreut war. Durch das offene Fenster strahlte der rote Ball der im Westen untergehenden Sonne.
Wo bin ich? Wie lange habe ich geschlafen?
Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, und die Erinnerungen kamen langsam zurück. Bald nach ihrem Aufbruch in Albersweiler hatte ihn ein Fieber gepackt, und sie hatten eine Weile rasten müssen. Danach waren sie tagelang geritten, die Queich entlang, und später im flachen Rheintal immer stromaufwärts, denn Melchior war davon überzeugt gewesen, dass die Hurenhändler nach Süden zogen, in Richtung Donau und Schwarzes Meer. In jedem Wirtshaus hatten sie sich nach einer Gruppe Männer mit zwei Frauen und einem kleinen haarigen Scheusal erkundigt, doch keiner konnte ihnen Auskunft geben.
Währenddessen hatte sich die Wunde in Mathis’ Oberschenkel immer stärker entzündet. Die Heilkräuter, die Melchior in dem Albersweiler Wirtshaus gefunden hatte, hatten nicht die gewünschte Wirkung erbracht. Von erneuten Fieberschüben gebeutelt, war Mathis immer weitergeritten, bis er nicht mehr wusste, ob er gerade wachte oder träumte. Das Schaukeln des Pferdes war sein ständiger Begleiter, die grüne Landschaft mit ihren Weiden, Birken und sumpfigen Auen verschwamm vor seinen Augen immer mehr zu einem zähen Brei, der ihn zu ersticken drohte. Irgendwann war er einfach vom Pferd gekippt. Und von da an bestanden seine Erinnerungen nur noch aus Bruchstücken, in denen ihm Melchior heiße Suppe einflößte oder die Verbände wechselte.
Agnes! Wir müssen weiter nach Agnes suchen! Oder hat mich dieser Barde etwa zurückgelassen?
Hastig stand Mathis auf, spürte aber sofort, wie ihn der Schwindel übermannte. Er taumelte, dann schlug er der Länge nach auf die Holzdielen, wobei er eine Schüssel Wasser umstieß, die neben dem Bett gestanden hatte. Das Scheppern des zersprungenen Gefäßes dröhnte laut durch die Stille der Kammer.
Gleich darauf waren hastige Schritte auf der Stiege draußen zu hören, und die Tür wurde aufgerissen. Melchior von Tanningen stand auf der Schwelle, einen Teller dampfender Suppe in der Hand.
»Wer hat Euch erlaubt aufzustehen?«, sagte der Barde und drohte spielerisch mit dem Finger. »Ihr seid noch viel zu schwach. Seht nur, was Ihr angerichtet habt!«
Er sammelte die Scherben auf und half Mathis zurück ins Bett. Dann reichte er ihm den Teller mit der Suppe. »Hier, esst. Eine gute Fleischbrühe, die wird Euch wieder zu Kräften bringen.«
Mathis schob den Teller weg. »Dafür haben wir keine Zeit. Wir müssen …«
»Ihr müsst vor allem gesund werden. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an.«
»Wie lange liege ich denn nun schon hier?«, wollte Mathis wissen.
»Drei Tage.«
» Drei ganze Tage?« Mathis richtete sich entsetzt auf, doch Melchior legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ihr könnt froh sein, dass Ihr noch lebt. Noch einen Tag länger auf dem Pferd und Ihr wärt an Wundbrand gestorben. Die letzten Meilen zu diesem Wirtshaus musste ich Euch wie einen Sack Mehl tragen.« Der Barde lächelte beruhigend und flößte Mathis einen Löffel Suppe ein. »Außerdem ist nichts verloren. Wenn ich recht habe und die Halunken ziehen mit ihrem Schiff weiterhin stromaufwärts, müssen sie treideln, rudern oder mit dem Segel kreuzen. Das dauert. Mit den Pferden sind wir da allemal schneller.«
»Und wenn sie nun doch stromabwärts fahren?«, fragte Mathis.
»Das glaube ich nicht.« Melchior zwinkerte ihm zu. »Es
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