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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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schluchzte im Schlaf und wälzte sich unruhig von der einen auf die andere Seite. Inständig hoffte Agnes, dass ihr Stöhnen nicht Samuel aufweckte, der nur wenige Ruderbänke weiter an der Reling lehnte und schnarchte.
    Fünf weitere Tage waren vergangen, seit Agnes Samuels Messer gestohlen hatte. Bislang war ihr immer etwas dazwischengekommen, die Männer hatten nicht tief genug geschlafen, ihr Rastplatz war unpassend gewählt oder sie hatten zu weit draußen geankert. Nun, kurz vor Straßburg, schien endlich der richtige Zeitpunkt für ihre Flucht gekommen. Wie jede Nacht hatten die Hurenhändler die beiden Frauen mit Ketten an die Bänke gefesselt, damit sie nicht fliehen konnten. Ein rostiges Vorhängeschloss hing um Agnes’ rechte Fußfessel und schnürte ihr das Blut ab. Einige Male hatte sie bereits heimlich geübt, mit Samuels verlorenem Messer das Schloss zu öffnen; diesmal spürte sie, dass es klappen würde.
    Mit der Spitze der Klinge tastete sie durch das Schlüsselloch nach der Feder im Inneren. Ein paarmal musste sie neu ansetzen, doch endlich knackte es leise, und der Bügel sprang auf. Im letzten Augenblick konnte Agnes die Kette festhalten, bevor sie scheppernd zu Boden fiel. Sie legte sie vorsichtig neben einer Taurolle ab und rieb ihren Fuß, durch den schmerzhaft das Blut pulsierte.
    Dann war sie frei.
    Zögernd sah Agnes hinüber zu der kleinen Agathe, die noch immer im Schlaf weinte. Es war so einfach, sie musste sich nur über die Reling gleiten lassen und mit ein paar Schwimmzügen wäre sie in Sicherheit. Doch Agnes hatte beschlossen, das Mädchen mitzunehmen. Außerdem wollte sie sich zuvor etwas holen, das ihr gehörte.
    Den Ring.
    Barnabas bewahrte das Schmuckstück vorne in der Bilge auf, wo sich eine im Boden eingelassene Seemannstruhe befand. Agnes wusste, dass sie damit ihre Flucht gefährdete, wenn nicht gar unmöglich machte, doch ohne Barbarossas Siegelring konnte sie nicht fort. Es war beinahe, als würde er in ihrem Inneren nach ihr rufen. Mit dem Ring hatte alles angefangen, und mit ihm sollte auch alles enden.
    So oder so.
    So langsam wie eine Schnecke richtete sie sich auf und spähte über den Bootsrand. Der Mond schien hell über den Rhein und warf sein fahles Licht auf die Dächer des Städtchens Kehl, das auf der östlichen Seite des breiten Stroms lag und wo sie vor Anker gegangen waren. Eine breite, von Pfeilern getragene Holzbrücke führte über den Fluss hinüber nach Straßburg. Von der Stadt ging ein rötlicher Schein aus, und der Turm des berühmten Münsters ragte wie ein mahnender Finger in die Höhe.
    In den letzten Tagen hatte Barnabas immer wieder damit geprahlt, was für einen guten Preis er bei den türkischen Sklavenhändlern für Agnes erzielen würde. Durch den Schwarzwald wollte er zur Donau ziehen, dann konnten sie schon in zwei, drei Monaten am Schwarzen Meer sein. Seine Ankündigungen waren jedoch immer schmallippiger geworden, je mehr sie sich Straßburg näherten, denn sowohl auf der Pfälzer Rheinseite wie auf der elsässischen mehrten sich die ­Anzeichen von Krieg. Beinahe täglich sah Agnes vom Boot aus Kirchen, Abteien und Burgen brennen, aber auch Weiler und Bauerndörfer wurden oft ein Raub der Flammen. Auf den großen Handelsstraßen am Ufer waren immer häufiger Trosse von Landsknechten zu sehen, die sich wie lange Schlangen durch die Auen wanden und trommelnd und pfeifend den Bauern entgegenmarschierten. Die wenigen Male, da die Hurenhändler angelegt hatten, um ihren Proviant aufzufüllen, vernahmen sie Schauergeschichten von nieder­gebrannten Feldern, von Massenvergewaltigungen, erschlagenen Bauernkindern und Landsknechten, die Blut soffen. Doch die Bauern schienen tatsächlich auf dem Siegeszug zu sein. Im Schwäbischen hatten sie in einem Städtchen namens Weinsberg einen leibhaftigen Grafen – immerhin den Schwiegersohn Kaiser Maximilians – durch die Spieße laufen lassen, die große Stadt Stuttgart war offenbar bereits erobert worden, immer mehr Gegenden waren in den Händen der Bauern. Oft musste Agnes an Mathis denken und an das, was er ihr immer wieder gepredigt hatte.
    Die Zeit der Herrschenden ist bald vorbei.
    Stand dieser Umbruch nun wirklich bevor?
    Vorsichtig setzte sie einen Schritt vor den anderen, um zu vermeiden, dass die Schiffsplanken knarrten. Marek, Schniefnase und Barnabas schliefen gleich neben dem Schiff auf der Mole, gehüllt in ein paar löchrige Decken. Agnes konnte die haarige Brust des Hurenhändlers

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