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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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aufgeregt. Wie so oft hatte ihn die Beschäftigung mit dem Geschütz in eine Art Trance versetzt, die jetzt langsam nachließ. Neben ihm konnte sich Melchior von Tanningen kaum noch auf den Beinen halten. Sein teures Gewand war schwarz von Ruß und Schießpulver, sein Gesicht bleich und müde.
    »Ein schöner Tag bricht an«, sagte der Barde müde lächelnd. »Es ist wohl Zeit für eine Demonstration Eurer Künste. Mein Leben liegt ganz in Eurer Hand. Wer hätte das vor ein paar Monaten noch gedacht?«
    »Mein Leben liegt umgekehrt auch in Eurer Hand«, erwiderte Mathis leise. »Wenn Ihr den Lauf nicht ordentlich gesäubert habt, wird ein gleißender Feuerblitz das Letzte sein, was wir beide auf dieser Erde zu sehen bekommen.«
    Er blickte sich suchend um, dann deutete er auf einen abseits stehenden Schuppen, der inmitten eines niedergetrampelten Felds stand. Die morsche Hütte war etwa dreihundert Schritt von ihnen entfernt.
    »Ist jemand dort drin?«, fragte Mathis laut die Bauern, die nun von überall her zusammengelaufen kamen. Mittlerweile war die Sonne ganz aufgegangen. Außerdem hatte sich herumgesprochen, dass ein vermeintlicher Geschützmeister sein Können unter Beweis stellen wollte.
    »Der Schuppen ist leer«, erwiderte einer der Wachleute, die hinter einem größeren Karren in Deckung gegangen waren. »Den hab’n wir gestern Abend noch durchsucht. Da huschen nur noch Mäuse und Ratten umher.«
    »Dann wollen wir den Biestern einen würdigen Morgengruß entrichten.«
    Mathis löste den Hebel an der Lafette und richtete das Rohr so aus, dass es schräg in den Himmel zeigte. Als er mit dem Neigungswinkel zufrieden war, stopfte er die Steinkugel mit einem Stößel tief in die Mündung. Dann griff er sich einen brennenden Luntenstock und hielt ihn zitternd an das Zündloch.
    »Heiliger Hubertus, Schutzpatron der Büchsenmacher«, murmelte er. »Mach, dass diese Kugel ihr Ziel trifft. Nicht für mich, sondern für Agnes, die vielleicht noch immer unsere Hilfe braucht.«
    Mathis hielt sich die Ohren zu und wartete. Eine gefühlte Ewigkeit war nur das Zischen des Pulvers im Zündloch zu hören. Als er schon glaubte, das Pulver wäre feucht geworden, ertönte plötzlich ein gewaltiges Donnern, dessen Erschütterung ihn hinterrücks in den Matsch fallen ließ. Der aufspritzende Dreck verklebte Mathis die Augen, eine Weile lang konnte er nichts mehr sehen.
    Bin ich tot? Ist das Rohr explodiert?
    Als er sich wieder aufrichtete und zum Schuppen hinüberblinzelte, lagen dort nur noch einige rauchende Trümmer. Holzsplitter hatten sich im weiten Umkreis über das Feld ­verteilt.
    Im Bauernlager herrschte eine fast unheimliche Stille, doch ganz plötzlich waren Jubelschreie zu hören, zunächst nur vereinzelt, dann immer mehr und lauter. Einige der Bauern warfen ihre Hüte in die Luft, sie wussten zwar nicht, was der Schuss bedeutete, aber er erschien ihnen als eine geeignete Demonstration ihrer eigenen Macht. Nur die wenigsten von ihnen wussten mit Schusswaffen umzugehen, umso größer war die Begeisterung, wenn es krachte und blitzte. Die Wachmänner näherten sich nun vorsichtig, keiner von ihnen erhob seine Waffe gegen Mathis. Im Gegenteil, einige nickten ihm sogar aufmunternd zu.
    »Wird den Ritter freuen, dass wir jetzt einen so verflucht guten Pulverschützen in den eigenen Reihen haben«, sagte einer der älteren Bauern lachend, während er sich seinen Kumpanen zuwandte. »Wartet ab, das nächste Mal schießt der Teufelskerl dem Würzburger Bischof noch die Mitra vom Kopf!«
    Melchior von Tanningen zog seinen rußgeschwärzten Hut und verbeugte sich tief vor Mathis. »Meinen Respekt, Meister Wielenbach. So wie es aussieht, hat dieser Haufen einen neuen Geschützmeister gewonnen, samt seinem untertänigen Gehilfen.« Er seufzte. »Ich fürchte, die Ballade wird erheblich länger werden als zunächst gedacht.«
    ***
    Der Annweiler Rotgerber Nepomuk Kistler schob ächzend die schwere Holzplatte von der Lohgrube und bemühte sich, nicht tief einzuatmen. Die ersten Augenblicke, wenn die Ausdünstungen der letzten Monate sich in der Werkstatt ausbreiteten, waren immer die schlimmsten. Der ätzende Geruch der Eichenlohe und der Gestank verwesenden Fleisches machten die Gerberei zu einem der verrufensten Handwerke. Die Häute, die vor Kistler in der Grube lagen, waren zwar bereits gewaschen und abgeschabt, trotzdem klebten immer noch winzig kleine Fleischfetzen an ihnen, die zum Himmel stanken.
    Prüfend fuhr Nepomuk

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